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Jugend, Gewalt und Sozialpädagogik
von Hans-Peter Frühauf und Bernd Stickelmann
Der gesellschaftliche Jugend-Diskurs konzentriert sich derzeit auf die Thematisierung von Gewalt und Jugenddelinquenz. Obwohl die öffentlichen Statistiken Aufschlüsse über einen prozentualen Rückgang der Gewaltdelikte seit 1975 zulassen (vgl. v. Wolffersdorff 2000), stehen politische Forderungen nach konsequenteren und härteren Strafen im Mittelpunkt der Diskussion.
„(...) die Strafmündigkeitsgrenze sei von 14 auf 12 Jahre abzusenken, heranwachsende Straftäter seien prinzipiell nach dem Erwachsenenstrafrecht zu verurteilen, der Jugendarrest auszubauen und auch die Anwendbarkeit neuartiger Kontrollstrategie wie Ausgangsverbote oder elektronische Überwachungssysteme zu prüfen“ (ebd., S. 44).
Dieser Forderungskatalog gründet auf der Annahme, dass Gewaltdelikte vornehmlich auf jene Jugendgruppierungen beschränkt sind, die - im Sinne der Debatte um Modernisierungsgewinner und -verlierer - nicht mit der gesellschaftlichen Dynamik Schritt halten können, verstärkt von Arbeitslosigkeit und Orientierungslosigkeit betroffen sind und ihren Unmut durch Gewaltanwendung ausdrücken (vgl. Heitmeyer u.a. 1996, Deutsche Shell 2000).
In Abgrenzung zu dieser Lesart wird in unserem Zusammenhang Gewalthandeln als Produkt eines Lernprozesses definiert. Die Lösung von Konflikten läuft in bestimmten Situationen auf das Muster Gewalthandeln zu. Gewaltorientiertes Handeln wird somit nicht jenseits einer gesellschaftlichen Praxis verortet und skandalisiert, sondern als Teil eines ‘gelungenen’ - wenngleich moralisch und funktional fragwürdigen - sozialen Geschehens verstanden.
Gewalt stellt einen genuinen Ansatzpunkt für sozialpädagogisches Handeln dar. In Abgrenzung zum sozialtechnologischen Herrschaftsmodell, das Gewalt „direkt aberziehend gegenübertreten will“ (vgl. Hamburger 1996, S. 68), tritt das Konzept des kommunikativen Handelns. Pädagogisches Handeln angesichts der Gewalt bedarf einer auf Verständigung zielenden Praxis, die sowohl den lebensweltlichen Bezug der Adressaten als auch die Rolle der handelnden Pädagogen reflektiert.
Sozialpädagogisch strukturierte Interaktionen, die nicht eine unmittelbare Veränderungspraxis (im Sinne einer normativen Bevormundung) verfolgen, sondern auf situative Aushandlungsprozesse und deren pädagogische Wirkung zielen. Wir gehen von der These aus, dass nur dann eine sinnvolle Auseinandersetzung mit Gewalt erfolgen kann, wenn Gewalt als Bestandteil des sozialen Lebens betrachtet wird. Gewaltorientiertes Handeln wird in diesem Zusammenhang als erlerntes und erfahrenes Muster zur Konfliktlösung in sozialen Situationen thematisiert.
„Sowohl die eindimensionale Deduktion von Gewalt aus makrostrukturellen Verhältnissen (Arbeitslosigkeit, Zerfall tradierter Lebensformen, Individualisierung etc.), wie die Psychopathologisierung der Gewalt verfehlen deren komplexe Ursachen. Vielmehr müssen individuelle Bildungsgeschichten, die zur Gewalt führen können, als soziale Bildungsgeschichten entschlüsselt werden“ (Helsper 1995, S.. 115).
Diese These führt uns zu der Überlegung, dass Gewalt graduell unterschiedlich auf die sozialen Milieus dieser Gesellschaft verteilt, jedoch in allen Milieus vorhanden ist. Sozialpädagogik hat die Aufgabe, den erlernten, gewaltorientierten Handlungsmustern von Jugendlichen mit pädagogischen Mitteln Handlungsalternativen, neue Muster zu bieten.
Die Jugendarbeit wird in diesem Zusammenhang zu einem zentralen Angebot der Sozialen Arbeit. Jugendlichen werden Lernangebote, Raum und Zeit sowie professionelle Hilfestellungen angeboten, die dazu beitragen sollen, dass sie in der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Anforderungen und Widersprüchen unterstützt werden. Jugendarbeit ist mit der Aufgabe betraut, Jugendlichen Unterstützung in ihrer Lebensbewältigung zu bieten sowie - in einer gesellschaftlichen Perspektive - zu einer gelingenden Sozialintegration beizutragen (vgl. Böhnisch 1992).
Jugendarbeit verfährt zum einen präventiv, zum anderen bietet sie diesen Jugendlichen Möglichkeiten neue Lernerfahrungen zu machen und im Hinblick auf aktualisierte Gewaltmechanismen, neue, alternative Handlungsmuster zu entwickeln. Sie wirkt folglich - analog zu den allgemeinen Aufgaben Sozialer Arbeit - nacherziehend.
Erkenntnisse aus der Jugendforschung
Eine gängige These in der Jugendforschung und Jugendarbeit lautet, dass Jugendliche in ihrem Handeln die in der Gesellschaft vorhandenen Muster aufgreifen. Seismographisch bilden sie in ihrem Handeln die latent vorhandenen Konfliktpotenziale ab. Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die Bestandteile politischer Orientierungen in unserer Gesellschaft sind, werden von den Jugendlichen als Botschaften aufgenommen. In einem zu Beginn der 80er Jahre erschienenen Sammelband Jugendkultur als Widerstand wird bereits von englischen Jugendforschern über Skinheads und die magische Rückgewinnung der Gemeinschaft (vgl. Clarke u.a. 1981) nachgedacht. In ihrer an ethnografischen Methoden orientierten Untersuchung zur jugendlichen Subkultur gehen sie Handlungsformen Jugendlicher nach, die sich aus kulturellen Orientierungen speisen, die die subversive Auseinandersetzung mit der Erwachsenenwelt belegen.
In ihren Untersuchungen über die Lebensformen insbesondere von Arbeiterjugendlichen fanden die Forscher heraus, wie die Jugendlichen aus den angebotenen Mustern „ihrer“ Kultur (des Arbeitermilieus) sich Versatzstücke herausnahmen und sie zu neuen jugendspezifischen Formen zusammensetzten. Damit wird eine eigenständige Verbindungslinie zu der Herkunftskultur gewahrt und zugleich wird das Bedürfnis nach Brechung überkommener Muster geleistet. Eine für den Zusammenhalt der Gruppierungen eigenständige Symbolik wird über diesen Prozess inszeniert.
Unter dem Eindruck, dass sich spezifische Muster derzeit auflösen und damit als Orientierung verloren gehen, wird in der Jugendforschung die Frage diskutiert, woher Jugendliche ihre verbindenden Muster und Symbole beziehen können; Muster, die dazu noch als Abgrenzung gegenüber der Erwachsenenwelt taugen. Der Gebrauch von Gewalt lässt sich in diesem Kontext deuten: Gewalt wird zum „Normalen“ - was wiederum zum gesellschaftlichen Bestand gehört, auch wenn Gewalt äußerlich geächtet wird - zugleich wird mit ihrer Verwendung eine Grenzlinie zur Erwachsenenwelt gezogen. Die Widerspiegelung der aggressiven Formen des Zusammenlebens einer Gesellschaft durch Jugendliche muss Emotionen hervorrufen.
Diese Emotionen werden indessen nicht auf sich selbst bezogen und als eigene Verunsicherung erlebt. Vielmehr werden sie in einem Akt des Rationalisierens auf diejenigen gerichtet, die die vorherrschenden Muster in dieser Gesellschaft ausprobieren, um deren Grenzen zu erkunden. Die gesellschaftlichen Instanzen verfahren nach dem Motto: nicht die Gründe für eine schlechte Botschaft müssen bekämpft werden, sondern deren Überbringer. In der Adoleszenz, die sich besonders durch die Suche nach Selbst und Identität auszeichnet (vgl. Helsper 1995b), werden diese Botschaften erprobt. Es wird ein Bild davon entwickelt, wer man ist und wer man sein will. Es werden also nicht nur Zukunftsaspirationen entwickelt, sondern zu-gleich auch Definitionen von der Wirklichkeit „ausprobiert“. Dieses Ausprobieren besteht in einem „Spiel“ mit vorhandenen, auch sich widersprechenden Mustern.
Jugendliche haben ein Anrecht darauf noch kein verfestigtes Weltbild zu haben und mit widersprüchlichen Momenten in ihrem Leben zu experimentieren. Das Dilemma dabei ist allerdings, dass unausgearbeitete und inkonsistente Weltbilder durch den Druck von außen zu verfestigten Weltbildern werden können. Jugendliche fühlen sich genötigt sich Gruppierungen anzuschließen, um dort eine Stärke zu „pachten“, die sie selbst noch nicht besitzen.
Die Differenz zur anständigen Erwachsenenwelt wird durch Handlungsregeln markiert, die gegen die offizielle Moral stehen, schon deshalb, weil sie sich gegenüber den Regeln der Gesamtkultur „falsch“ verhalten (vgl. Tertilt 1996). Im Falle von rechtsgerichteten Jugendlichen wird über die Konstruktion von Fremdheit (sprich über die Bekämpfung von Ausländern, alternativen Jugendszenen, Homosexuellen oder Wohnungslosen) den Jugendlichen eine Position ermöglicht, indem ein stabiler Gruppenbezug zu anderen Jugendlichen hergestellt wird.
Die Gruppe bedeutet für ihre Mitglieder ein Stück Heimat, sie bietet Schutz und Sicherheit. In ihr holen sich Jugendliche jene Anerkennung, die sie außerhalb des Gruppenzusammenhangs nicht finden. Sie stärken ihr Selbstwertgefühl, indem sie Regeln erfinden, die sich von denen außerhalb der Gruppe verfolgten unterscheiden. In der Gruppe wird über Freund und Feind, Gut und Böse, Nähe und Distanz entschieden. Und die Frage, ob das Pendel in Richtung Nähe oder Distanz ausschlägt, entscheidet sich - so paradox das auf den ersten Blick erscheinen mag - durch die Anwendung von Gewalt: Bist du bereit, dich mit der Faust für die Gruppe einzusetzen? Bist du auch bereit, deinen Körper einzusetzen? Das Anzetteln von Schlägereien kann als Versuch interpretiert werden, Nähe und Distanz, Orientierung und Ordnung herzustellen: jedes einzelne Mitglied kann sich über sich selbst und sein Gegenüber vergewissern. Gewaltanwendung wird deshalb so attraktiv, weil sie Eindeutigkeit in unübersichtlichen Situationen herstellt und die momentane Überwindung von Ohnmacht ermöglicht. Sie bedarf keiner sprachlichen Vermittlung.
Das Zurückgreifen auf tabuisierte Symbole wie Hakenkreuz, Reichskriegsflagge, Hitlergruß oder aber auch sozialistische Relikte bei rechtsgerichteten Jugendlichen kann als eine Gegenwehr zum Bildungssystem begriffen werden, das den Anspruch des Verstehens und der Toleranz als oberstes Gebot hochhält, aber seinen sozialen Verpflichtungen nicht gerecht werden kann. Darin steckt der Versuch der Jugendlichen sich gegen das pädagogische Indoktrinieren zu wehren.
Perspektiven einer sozialpädagogischen Arbeit angesichts von Gewalt
Die Antwort auf die Frage, was sozialpädagogisch zu tun sei, um angemessen und professionell gewaltförmigen Handlungsmustern entgegenzutreten kann an dieser Stelle nur in der Formulierung eines Anforderungskataloges erfolgen.
Es geht zunächst einmal darum, dass die vorhandenen Einrichtungen und die tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich besser auf die Bewältigung von Konflikt- und Gewaltsituationen vorbereiten müssen. Wenn Gewalt als ein beobachtetes Element des sozialen Zusammenlebens definiert wird, so spielt sie auch im Berufsalltag von Praktikern und Praktikerinnen eine Rolle. Über fallbezogene Fort- und Weiterbildung und Prozesse der Selbstevaluation müssen Reflexionsräume installiert werden, in denen Gewalterfahrungen und gewählte Lösungsmuster analysiert und im Sinne einer „besseren“ Praxis weiterentwickelt werden. Thema der Reflexion sind demnach sowohl die Möglichkeiten als auch die Grenzen praktischer Sozialpädagogik, die in dichter Beschreibung aufgearbeitet und analysiert werden (vgl. Stickelmann 1996).
Auch bleibt einiges zu tun, wenn es um die Frage geht, was unter Jugend verstanden wird und auf der Grundlage welcher Definitionen welche Anforderungen und Erwartungen an Jugendliche gestellt werden. Sozialpädagogik ist an Deutungen zurückgebunden. Die Arbeit mit Jugendlichen ist abhängig von dem Wissen der sozialpädagogisch Handelnden eben über diese Jugend. Ein Blick auf die öffentlichen Diskurse über Jugend zeigt, dass das was unter Jugend verstanden wird, Ergebnis gesellschaftlicher und kultureller Interpretationsprozesse ist. Die daraus geronnenen Jugendbilder konstituieren sich in der Gemengelage von gesellschaftlichen, institutionellen und medialen Erwartungshaltungen. Diese Erwartungshaltungen wirken gleichsam in die Jugendszenen hinein, werden von den Jugendlichen aufgegriffen und definieren die eigene Wahrnehmung als Jugendlicher.
Diese Perspektive unterscheidet zwischen Jugend „als gesellschaftlich eingerichtetes und allen vorgegebenes Lebensphasenmodell“ und den je spezifischen Alltagszusammenhängen, in denen Jugendliche stehen (Böhnisch 1992, S.152). In der praktischen Arbeit verbirgt sich immer schon die Gefahr, dass an den Jugendlichen pädagogisch „vorbei gehandelt“ wird, weil unreflektierte Leitbilder von Kindheit und Jugend auf die soziale Situation übertragen werden.
Vorgefertigte Idealmuster des Handelns und Lebens werden von den Jugendlichen abgelehnt, bisweilen bekämpft, wenn sie als normative Vorgabe herrschaftlich durchgesetzt werden sollen. Sozialpädagogisches Handeln bewegt sich notwendigerweise zwischen den Polen eines Wissens über die Regeln einerseits und dem in der jeweiligen Interaktion herzustellenden Bezug zum Fall, also zur Situation andererseits und den darin enthaltenen subjekthaften Regelverletzungen als grundlegender Teil des Aufwachsens in dieser Gesellschaft.
Sozialpädagogische Handlungen sind in diesem Zusammenhang jene gesellschaftlichen Reaktions- und Aktionsformen, die sich auf das Aufwachsen beziehen und die begründbar sind. Sie werden geplant, aber unter Unsicherheit auf die jeweilige Situation übertragen, weil die Sichtweisen und die Entscheidungen des Gegenüber - in diesem Fall des Jugendlichen - einbezogen werden müssen. Dazu gehört auch ein Wissen über die realen Lebenssituationen und -lagen des Jugendlichen, eine Integration der Perspektive auf jene Handlungsräume von Jugendlichen, die den pädagogischen äußerlich sind.
Das Ende der Erziehung?
In der Rede über delinquente, gewaltorientierte Kinder und Jugendliche liegt ein Unbehagen über die Erziehung bzw. die Sozialpädagogik zugrunde. Pointiert könnte man dieses Unbehagen in der Formel „Das Ende der Erziehung“ zusammenfassen (vgl. Stickelmann 1999, S. 82). Die mediale Aufbereitung jugendlicher Straftäter folgt der Tendenz, dass über stilisierte Einzelfälle Kinder und Jugendliche und insbesondere Jugendliche ausländischer Herkunft für soziale und gesellschaftliche Unsicherheitsgefühle verantwortlich gemacht werden. Zum einen gerät darüber die Verantwortlichkeit der Erwachsenengeneration aus dem Blick, zum anderen befördert das Bild der folgenlosen Pädagogik die Strategie des schnellen Abschiebens der Täter in geschlossene Einrichtungen der Jugendhilfe und Justiz. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung war die mediale Verhandlung jenes Jugendlichen türkischer Herkunft, der als Fall Mehmet 1997 in die Schlagzeilen geriet und nach langem öffentlichen und juristischen Gezerre in die Türkei abgeschoben wurde. Durch diese medial aufgeputschten Prozesse entstehen und verfestigen sich Ängste vor kriminellen Straftätern, vor „bösen“ Kindern und Jugendlichen, die als Sündenböcke für andernorts in Gang gesetzte Prozesse verantwortlich gemacht werden und die schließlich die gesamte Bandbreite der Disziplinarerziehung und der öffentlichen Sanktionierung erfahren sollen.
Diese Strategie folgt einer spezifischen Vorstellung von Jugend, die pädagogisch strukturiert in die Zukunft manövriert werden soll (Jugend ist gleich Zukunft). Eine Abweichung von diesem Jugendideal wird immer schon als Bedrohung dieses Mythos interpretiert und sanktioniert. Im Zuge gesellschaftlicher Veränderungsprozesse verändern sich die Rahmenbedingungen. Die Erwartung an Jugendliche auf das heute Erlebbare zu verzichten (psychoanalytische Figur des Triebverzichts), um sich auf das Morgen gut vorbereiten zu können, greift nicht mehr. Jugendliche sind gegenwartsorientiert, leben im sogenannten Hier und Jetzt und sind mit gesellschaftlichen Problemen und Anforderungen konfrontiert, vor denen man sie früher zu schützen suchte. Das Pädagogische als Schutzraum, als Insel der Vorbereitung für das spätere Leben greift nicht mehr. Die Rede über die Jugend ist heute immer noch orientiert an jenem Bild, das sich in den 50er Jahren in der Bundesrepublik entwickelt hat. Die Jugendzeit war damals „überwiegend schon Arbeitszeit (und) soziale Herkunft, vor allem das Bildungsniveau der Eltern, bestimmte weitestgehend die Ausbildung und damit auch die Biografie der Kinder“ (Fischer 1999, S. 12).
In Ausbildung, im Beruf zu stehen, etwas zu erreichen verkommt zur bloßen Floskel, wenn die Zugangsmöglichkeiten zu den Ausbildungsgängen sich ungleich und ungerecht verteilen. Die Kopplung der Identitätsbildung Jugendlicher mit beruflichen Erfolg wird heute zusehends für Jugendliche, insbesondere Jugendliche ausländischer Herkunft, prekär. Das Bild des Wirtschaftswunders oder aktueller der blühenden Landschaften verspricht eben diese Möglichkeit ohne jedoch eine empirische Entsprechung für alle Jugendlichen zu finden. Berufliche Einmündung und beruflicher Werdegang sind als Symbole zu verstehen, die den Übergang in die Erwachsenenwelt markieren. Jedoch ist wie bereits angedeutet, die Lebensphase der Jugend für viele Jugendliche risikohaft, weil „schicht-, geschlechts- und regionalspezifische Benachteiligungen wieder akut werden und die Chancen der Bewältigung der Lebensphase Jugend bestimmen“ (Böhnisch 1992, S. 153).
Jugendliche bewegen sich in mindestens zwei Jugendwelten, zum einen der der Schule und der Ausbildung, zum anderen die der Alltagskultur, die gleichsam anderen Orientierungen folgt. Jugendliche stehen somit vor der Aufgabe, die verschiedenen Sinnbezirke zu integrieren, Anforderungen zu bewältigen und die damit einhergehenden Widersprüche und Paradoxien auszuhalten. In dieser Struktur kristallisiert sich eine neue Unübersichtlichkeit (Habermas) heraus, die unter anderem auch durch gewaltförmiges Handeln versucht wird eindeutig zu machen. Gewaltorientierte Jugendliche müssen von daher erst in ihrer realen Lebenssituation betrachtet und reflektiert werden, woran sich fallbezogene sozialpädagogische Strategien anschließen.
Literatur
- Böhnisch, Lothar: Sozialpädagogik des Kindes- und Jugendalters. Weinheim und München 1992
- Clarke, John u.a.: Jugendkultur als Widerstand. Frankfurt am Main 1981
- Deutsche Shell (Hg.): Jugend 2000. 13. Shell-Jugendstudie. Opladen 2000
- Hamburger, Franz: Pädagogik angesichts der Gewalt. Überlegungen zur Jugendarbeit. In: Stickelmann, Bernd (Hrsg.), Zuschlagen oder Zuhören – Jugendarbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen. Weinheim 1996, S. 55-74
- Heitmeyer, Wilhelm u.a: Gewalt. Weinheim, München, 1996, 2. Aufl.
- Helsper, Werner: Zur „Normalität“ jugendlicher Gewalt: Sozialisationstheoretische Reflexion zum Verhältnis von Anerkennung und Gewalt. In: Helsper, W.; Wenzel, H.: Pädagogik und Gewalt. Opladen, 1995
- Stickelmann, Bernd (Hrsg.): Zuschlagen oder Zuhören – Jugendarbeit mit gewaltbereiten Jugendlichen. Weinheim 1996
- Stickelmann, Bernd: Das Ende der Erziehung - oder: die Straße als Lern- und Erfahrungsort. In: Lutz, Ronald/ Stickelmann, Bernd (Hg.): Weggelaufen und ohne Obdach. Weinheim und München 1999, S. 81-106
- Tertilt, Hermann: Turkish Power Boys. Ethnographie einer Jugendbande. Frankfurt am Main 1996
- v. Wolffersdorff, Christian: Jugendkriminalität in Deutschland – Über den Umgang mit schwierigen Jugendlichen und das neue Bedürfnis nach „law and order“. In: Bendit, Rene/ Erler, Wolfgang/ Schäfer, Heiner (Hrsg.): Kinder- und Jugendkriminalität. Strategien der Prävention und Intervention in Deutschland und den Niederlanden. Opladen 2000, S. 41-52
Hans-Peter Frühauf, Dipl. Pädagoge
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V. (ism)
Augustinerstraße 64-66
55 116 Mainz
Tel.: 06131-328488
e-Mail: ism-mainz@t-online.de
Bernd Stickelmann, Prof. Dr., Hochschullehrer für Pädagogik, Kinder- und Jugendarbeit an der Fachhochschule Erfurt
Altonaer Straße 25
99085 Erfurt
Tel.: 0361/6700 550
e-Mail: stickelmann@soz.fh-erfurt.de