Spielen im Unterricht - Ein Dilemma

von Gerd Busse

Spiel bringt mehr Freude in den Unterricht, gestaltet ihn abwechslungsreicher, motiviert besser zum Lernen, vermittelt Kreativität und mehr Interaktions- und Kommunikationskompetenz als andere Unterrichtsmethoden; so die allgemeine Meinung.

Sie hat sich seit Ende der 1960er und der 1970er Jahre verbreitet, als das didaktische Spiel in der wissenschaftlichen Diskussion (B. Daublebsky 1973, Deutscher Bildungsrat 1975 u.a.) und bei der Bereitstellung von Hilfen und Materialien einen starken Auftrieb verzeichnen konnte. Kontext war die damalige Revision des Bildungswesens.

Antiautoritäre Erziehung, Soziales Lernen, Handlungsorientierung, Selbstbestimmung und Emanzipation waren die Schlagworte, die die Hoffnung zum Ausdruck brachten Erziehung und Bildung den Erfordernissen der Moderne anpassen und eine gerechtere Welt anstreben zu können. Das Spiel rückte dabei in den Mittelpunkt, weil man – durchaus nicht unberechtigt - annahm, dass es wegen seines Wesen und seiner Funktion einen originären Beitrag dazu leisten könnte.

Und doch hat sich die Schulpraxis nur zögerlich dem Spiel genähert. Es findet sich in den Pausen, mitunter als Lückenfüller, z. B. in Vertretungsstunden, kurz vor den Ferien, manchmal auch als ein den Unterrichtszielen untergeordnetes Lernspiel, in dem Fertigkeiten abwechslungsreich geübt werden sollen oder als Belohnung. Diese Praxis muss ihre Gründe haben. Sie sollten nicht unberücksichtigt bleiben, wenn über dialogische Erziehung und globales Lernen nachgedacht wird.

So spielen zum einen Einstellungen der Lehrerinnen und Lehrer aber auch der Eltern eine Rolle, wie: Spielen ist Spielerei und Allotria, Spiele gehören in die Freizeit. Aber auch schulorganisatorische Probleme, der Stoff- und Leistungsdruck, der Mangel an Spielerfahrungen und die „Angst des Lehrers vorm Spielen“ (Baer 1983, S. 362f.) sind von Bedeutung.

Zum anderen sind die Gründe aber auch in der Sache selbst zu suchen. Die Spielpädagogin Gisela Wegner-Spöhring (1994, S. 209) stellt dazu fest: „Spiel und Schule gingen noch nie besonders gut zusammen“, denn „Spiel ist die Freiheit der Kinder“ und die ist im Unterricht weitgehend eingeschränkt. Das Verständnis vom Spiel, das seinen Zweck nur in sich selbst hat, findet sich im Begriff „Freies Spielen“ wieder. Benita Daublebsky (1975, S. 117) definiert es so: „’Freies Spielen’ wollen wir hier alle Betätigungen von Kindern nennen, die nicht durch ein bestimmtes Programm oder durch Aufforderungen von Erwachsenen initiiert werden. Im freien Spiel nehmen Kinder Anregungen, die aus der Umgebung kommen, selbständig oder durch das Beispiel anderer Kinder auf.“

Natürlich braucht in der gegenwärtigen Zeit mit ihren starken Veränderungen im Spielverhalten der Kinder auch das freie Spiel den Schutz der Schule. Doch denken wir beim Spielen im Unterricht vor allem an die Spiele, in denen etwas gelernt werden soll. Und da besteht ein gewisses Dilemma: Didaktische Inten-tionen und das Wesen des Spiels sind weitgehend nicht deckungsgleich. Ist die Spielstruktur der Wirklichkeit nicht angemessen oder gelingt das „Spiel“ aufgrund des fehlenden Freiraums oder anderer Bedingungen nicht, dann bringen Unterrichtsmethoden wie Projekte, Fallstudien, Erkundungen, Brief- und Internetkontakte und reale Begegnungen einen größeren Erfolg.

Chancen und Grenzen des Spiels in der Schule

Dem spielerischen Erwerb von Wissen und dem Ausprobieren von Verhaltensweisen für die Wirklichkeit sind in der Schule deutliche Grenzen gesetzt. So sollte nicht ignoriert werden, dass die Realität immer nur eine vom Spieler oder vom Lehrer konstruierte ist und dass eine Vorbereitung auf das Leben in der Schule nur in Modellsituationen erfolgen kann. Im didaktisch verzweckten Spiel, insbesondere im Rollen-, Plan- und Simulationsspiel, wird dieses Problem besonders virulent.

Unangemessene Modelle von Realität können nachhaltige Täuschungen über die Beschaffenheit der Wirklichkeit vermitteln, über die eigene soziale Stellung und das eigene Vermögen in sozialen und politischen Handlungsfeldern. Ob die Aneignung von Realität durch das Spiel gelingt, ist also immer fraglich. Da Schüler im Spiel ihr Handeln selbst bestimmen, Sachzwänge aufheben, Normen und Rollen verändern und Reaktionen provozieren können, entstehen leicht Erwartungen und Wünsche, die sich in der eigenen Lebenswelt und auch global so kaum erfüllen werden. (vgl. Lehmann 1977, S. 227f).

Diese Gefahren versuchen Spielemacher in der Anlage ihrer Spiele und mit Durchführungshinweisen zu begegnen. Das sind z. B. Aufforderungen zur Rollendistanz und zum Vergleich der Spielergebnisse mit der Wirklichkeit und zwar so, dass sich die Spieler fragen: „Wie haben wir im Spiel entschieden und gehandelt? Wie läuft so etwas in der Wirklichkeit ab? Was können wir aus den Unterschieden lernen?“

Mit diesen einschränkenden Feststellungen soll aber die Möglichkeit des Lernens im Spiel nicht „klein geredet“ werden. Würde sich die Schule nur auf die kognitive Vermittlung des gesellschaftlichen Wissens- und Erkenntnisstandes beschränken, ohne es – wenn auch mit Abstrichen – zu erproben, dann würden die Kenntnisse erst nach der Schule einer Bewährung ausgesetzt, was in vielen Lernfeldern sicherlich als unbefriedigend zu betrachten wäre. Deshalb sollte in dieser Hinsicht nichts unversucht bleiben.

Die Frage nach den Möglichkeiten des Spiels ist zugleich auch eine Frage nach seinem Wesen. Der Begriff „Spiel“ deckt ein weites Bedeutungsfeld ab, in dem die unterschiedlichsten Spieltheorien um Erklärungen bemüht sind. Daher gibt es auch keine allgemeingültige Begriffsbestimmung. In den Theorien wird versucht das Spiel über seine Merkmale zu fassen.

Dabei gibt es trotz aller Akzentunterschiede einen Konsens (vgl. dazu u.a. Scheuerl 1989, Wegener-Spöhring 1978 u. 1994, Meyer 2000). Wir folgen hier im Wesentlichen einer Charakterisierung von Gisela Wegener-Spöhring (1994), die folgende Grundmerkmale des Spiels mit der Absicht nennt, Vorzüge und Schwierigkeiten bei der Verwendung des Spiels im Unterricht deutlicher werden zu lassen:

Quasi-Realität (vgl. Heckhausen 1893, s. 135; Krappmann 1973, S. 198). Spiel bildet niemals die Realität ab, allenfalls aspekthaft, simplifiziert und distanziert und ist ein „Tun-als-ob“. Es verfremdet die Wirklichkeit oder stellt sie „falsch“ dar. Es ist eine neue, eine bloß symbolische in der Phantasie vorgestellte Welt, eine Scheinwelt. Deswegen ist es immer schwierig mit dem Spiel Erfahrungen über die Wirklichkeit zu gewinnen. Notwendige Korrekturen bedürfen dann besonderer didaktischer Bemühungen.

Ambivalenz (vgl. Scheuerl, 1975, S. 208; Sutton-Smith 1978, S. 60ff). Das Spiel pendelt zwischen Welt und Ich, zwischen Spannung und Entspannung und ist so ein „labiles Feld“ (Wegener-Spöhring 1994, S. 212), das sich durch eine „schwebende Gleichgewichtslage des Spielverlaufs“ (Scheuerl, 1975, s. 208) auszeichnet, die immer vom Abbruch bedroht ist und immer wieder ausbalanciert werden muss. Es besteht eine Anregungskonstellation, deren Elemente Neuigkeit, Wechsel, Überraschung, Verwickelungen, Ungewissheit, Konflikt sind. Das Pendeln zwischen Spannung und Lösung wird als lustvoll empfunden und regt zum Weiterspielen an. H. Heckhausen (1973, S. 133-149) nennt das den „Aktivierungszirkel“. Streng geplantes und linear gesteuertes Lernen ist daher kaum möglich.

Freiraum. Das Spiel „lebt“ nur in sanktionsfreien bzw. -armen Situationen, dort wo angstfreies und selbstbestimmtes Handeln möglich ist., „wo spielfremde Zwänge und Zwecke ... nicht die alleinige Oberhand haben dürfen“ (Scheuerl 1989, S. 17). Das Spiel gibt so den Schülern einen breiteren Raum für die Selbstentfaltung und berücksichtigt besser das Leistungsvermögen. Eine Fehlleistung, ein Versagen im Spiel muss nicht so ernst genommen werden. Aber auch die Freiheit zur Aufmüpfigkeit, zu Regeländerungen, zum Mitmachen oder Aussteigen, zum Spielen gegen die Wirklichkeit, zu Umdeutungen, zu sozialem Experimentieren und zum Ausleben von Utopien sind dem Spiel genuin. Auf diesen Zusammenhang hat Brian Sutton-Smith hingewiesen. Er warnt deswegen vor einer „Idealisierung“ und „Domestizierung“ des Spiels durch Pädagogen und andere Erwachsene (Sutton-Smith 1983).

Freude und Spaß, „spontanes Engagement“ (vgl. Goffmann 1973, S. 41). Das Spiel zielt auf eine freudige Erfüllung der Gegenwart. Hier und jetzt soll das Spiel gelingen und Freude bereiten. Es ist keinesfalls eine ernsthafte Vorbereitung auf zukünftige Erfordernisse des Lebens. Ein gelungenes Spiel hinterlässt Erinnerungen, Unterricht dagegen vermittelt Kenntnisse und Fertigkeiten.

Antithetisches Geschehen (vgl. Huizinga 1956, S. 52). Gespielt wird häufig gegen einen Gegner oder eine bestehende Situation. Wenn das nicht gegeben ist, dann ist Spiel weniger aufregend und eher langweilig. Darauf ist wohl auch die Unbeliebtheit der „Spiele ohne Sieger“ zurückzuführen. Die Antithetik hat noch einen anderen Aspekt: Ist im Spiel eine Aneignung der Wirklichkeit (Assimilation) und eine Anpassung an die Welt (Akkomodation) möglich, so ist zugleich im Spiel ein Handeln gegen die Wirklichkeit, so etwas wie ein Veränderungspotential in Form von neuen Ideen, Einstellungen, Gefühlen und Wünschen zu erkennen. Dieses Utopische kann natürlich genutzt werden, wenn es z.B. um die Bereitschaft und um Aktionen für die Schaffung der „Einen Welt“ geht. Das Spiel hat insofern auch eine kontrafaktische, emanzipatorische Funktion.

Soziales Ereignis (Krappmann 1976, S. 42). Spiel als soziales Ereignis wurde erst in den 1970er Jahren als Merkmal herausgestellt. Das Spiel wird als etwas Gemeinschaftliches begriffen, dem ein besonderes Anregungspotential innewohnt, das den Spieler ganzheitlich dazu aktiviert seine soziale Kompetenzen (u. a. Einfühlungsvermögen, Flexibilität, Integrationsfähigkeit)


Offenheit und Komplexität didaktischer Spiele (Quelle: Busse 1985, S. 5)

einzusetzen und zu entwickeln. Darin liegt seine Stärke hinsichtlich des sozialen Lernens. Macht ein Spiel Spaß, dann werden ganz nebenbei die angesprochenen Kompetenzen entwickelt bzw. geübt. Auch „die oft geschmähten Wettkampfspiele [erweisen sich sogar] als Motoren Sozialen Lernens. Das hatte man in der Rollenspieleuphorie der 70er Jahre übersehen.“ (Wegener-Spöhring 1994, S. 214)

Spiel als pädagogisch intentionale Veranstaltung

Spielen kann leicht instrumentalisiert werden, z.B. durch kommerzielle Inter-essen und natürlich auch durch die Schule. „Spielen im Unterricht ist nicht zweckfrei, sondern ein zielgerichteter Versuch zur Entwicklung der sozialen, kreativen, intellektuellen und ästhetischen Kompetenzen der Schüler.“ (Meyer 2000, S. 344.) Der Begriff des Unterrichtsspiels impliziert, dass es sich um eine Unterrichtsmethode unter anderen handelt, die auf der Grundlage pädagogischer bzw. didaktischer Entscheidungen ausgewählt worden ist. Entscheidend für den Einsatz von Spielen sind in der Praxis meist Motivations- und Effizienzüberlegungen.

Wenn überhaupt, dann werden didaktische Spiele im Unterricht eingesetzt zur Gewinnung von Wissen, Erkenntnissen, zum Üben von fachlichen Fertigkeiten. Aber auch das Kennenlernen und Ausprobieren eines Verhaltensrepertoires ist zu nennen, wozu der Perspektivenwechsel, die Wahrnehmung anderer Interessen, die Anpassung des eigenen Verhaltens an die jeweilige Situation, die sprachliche Entwicklung und die Argumentations- und Dialogfähigkeit gehören. Damit sollen die Schüler auf das Leben in unserer Gesellschaft und für die „Eine Welt“ vorbereitet werden.

Berücksichtigen wir die angesprochenen besonderen Wesensmerkmale des Spiels, so stellt sich die Frage: Können didaktische Spiele das alles „leisten“? Die Antwort kann nur differenziert ausfallen. Es kommt auf die Art der Spiele (z.B. Lernspiel im engeren Sinne, Rollenspiel, Planspiel, Konstruktionsspiel) an, aber auch auf die Spielstruktur: Bietet es genügend Freiraum zur Entfaltung von Kreativität, Sensibilität. Spontaneität und Selbststeuerung? Macht es Spaß und ist es spannend? Ist das alles nicht gegeben, wird der Spielverlauf leicht zu Lernschritten (z.B. beim Planspiel: Materialstudium/ Fallstudie ­­– Durchführung einer Konferenz/Gesprächsführung und Argumentationstraining – Bewertung und Entscheidungsfindung – Auswertung der Spielerfahrungen) und verliert dadurch seinen spielerischen Charakter. Andere Unterrichtsmethoden könnten dann effizienter sein.

Bietet hingegen das didaktische Spiel genügend Freiraum, lässt es, „unkontrollierte Phantasie“ (Caillois 1982, S. 20) mehr oder weniger zu, legt es eine Befreiung von den Zwängen der bestehenden Verhältnisse und Denkstile nahe und kann die Veränderbarkeit der Realität gedacht werden, dann können auch Wünsche und Erwartungen im Spiel entstehen und geäußert werden und dann „kann sich im Spiel ein Vordenken und Handeln in eine bessere Zukunft hinein ereignen“ (Wegener-Spöhring 1994, S. 216), ein Spielen gegen die Wirklichkeit stattfinden und eine „Vorwegnahme der Freiheit“ (Kerbs 1970, S. 47) eintreten.

Spielformen

Bei der Auswahl von Spielen für den Unterricht müssen die unterschiedlichen Spielformen und jeweiligen Spielstrukturen, die recht verschiedene Kompetenzen vermitteln können, berücksichtigt werden. Folgen wir Hilbert Meier (2000, S. 346ff), der hinsichtlich der unterschiedlich strukturierten Spiel-gegenstände und der Spielzwecke eine recht plausible Einteilung der Formen vorgelegt hat, so gibt es drei große Bereiche, die hinsichtlich des Grades ihrer Verregelung nochmals differenziert werden:

Bei den Interaktions- und Gesellschaftsspielen geht es um eine spielerische Auseinandersetzung mit den Spielpartnern. Verbunden sind sie mit Spannung, Spaß und Erholung und bringen Abwechslung in den traditionellen Unterricht. Zu den eher gering verregelten Spielen gehören das freie Spiel mit Spielzeug oder Partnern, die Schatzsuche und die Rallye. Zu den eher hoch verregelten, konkurrenz- und wettkampfbezogenen Spielen zählen Sport- und Mannschaftsspiele, Regelspiele (wie Räuber und Gendarm, Verstecken, Pumpsack), Gesellschaftsspiele (wie Monopoly, Kartenspiel, Beobachtungsspiel, Kimspiel), Denk- und Strategiespiele (z. B. Knobeleien, Computerspiele) und Lernspiele im engeren Sinne (z.B. Stadt-Land-Fluss, Memory, Puzzle, Lottos, Lernkartenspiel). Diese Spiele können ein Beitrag zur Förderung des sozialen Lernens sein, dienen aber auch der Wissensvermittlung und Übung von Fertigkeiten.

Zu den Simulationsspielen zählen die eher gering verregelten Rollenspiele (u.a. offenes Rollenspiel, Sozio- und Psychodrama, Rollengespräch) und die hoch verregelten, nach einem Plan verlaufenden Planspiele (u.a. Entscheidungs- Konferenz-, Unternehmensspiel, Computersimulation). Sie regen zu einer intensiven Beschäftigung mit einer modellhaft abgebildeten gesellschaftlichen Realität an. Soziale, politische und ökonomische Probleme und Entscheidungen stehen im Mittelpunkt. Meist kann aber nur auf der Grundlage eines genauen Rollenstudiums und einer gründlichen Analyse der Problemlage gehandelt werden. Daher ähneln Phasen dieser Spiele dem regulären Unterricht, was das Spielerische sehr beeinträchtigen kann. Die Rollenspiele zielen auf soziales Lernen, Perspektivenwechsel und die Überprüfung von fremden und eigenen Haltungen. Das gilt auch für die Planspiele, in denen die Spieler meist auch Rollen übernehmen. Hinzu kommen jedoch auch das Entscheidungstraining und der dazu notwendige Erwerb von Fachkenntnissen und Vorgehensweisen.

Im szenischen Spiel wird sinnlich-anschaulich eine symbolische Wirklichkeit in Aufführungen dargestellt. Ein besonderes durchaus reizvolles Moment ist das spannende Verhältnis zwischen Akteuren und Zuschauern. Eine lockere Anbindung an eine Spielvorlage besteht beim freien darstellenden Spiel, wozu z. B. das Stehgreifspiel, die Pantomime, das Zeitungstheater und der Tanz zählen. Dagegen besteht beim Theaterspiel (u.a. Laienspiel, Straßentheater, Figurentheater, Kabarett, Hörspiel, Musical) eine enge Anbindung an die Spielvorlage mit ihren definierten Rollen und dramaturgischen Vorgaben. Diese Spielformen sind vorzüglich dafür geeignet, nicht nur im sprachlich-musischen Bereich, sondern auch hinsichtlich des sozialen bzw. dialogischen Lernens Impulse zu geben.

Diese Einteilung von Hilbert Meyer ist analytischer Art und soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Interaktion, Simulation und Inszenierung für alle Spielarten mehr oder weniger konstitutiv sind. Ein Spielleiter sollte sich bei der Auswahl und Anleitung von Spielen darüber im Klaren sein, welche Eigenschaften ein spezielles Spiel hat. Spiel ist nicht gleich Spiel. Bestimmte Funktionen und Qualitäten, wie z. B. Anregung von Phantasie, Erwerb von sozialen und emotionalen Kompetenzen, die einem bestimmten Spiel immanent sind, müssen sich nicht in ähnlichen Spielen wiederfinden. Spielstrukturen und Handlungsabläufe können auch bei einer Spielart sehr variieren. Die Zusammensetzung der Spielgruppe, ihr soziales Umfeld, Ort und Art der Durchführung und die Tatsache, ob ein Spiel in den Augen der Spieler gelingt, können sich auch bei ein und demselben Spiel so auswirken, dass eigens zu erwartende Befähigungen überhaupt nicht erfolgen.

Was kann das Spiel im Unterricht „leisten“?

Die Möglichkeiten werden in folgender Tabelle dargestellt:

Intention: Lehrer

Aktion: Schüler

Spiele vorschlagen und dafür motivieren

bringen sich selbst ein und damit ihre Erfahrungen, Kenntnisse und Gefühle

Freude am Lernen vermitteln

haben Spaß im Spiel und lernen entspannt und stärker selbstgesteuert im Unterricht

Wissen vermitteln

nehmen mehr Informationen auf, verarbeiten und vernetzen sie besser

Gedanken, Gesetzmäßigkeiten veranschaulichen,

Problemlösungen aufzeigen

treten in einen intensiven Austausch ihrer Gedanken und Gefühle ein,

lernen neben dem Lösen von Problemen den Umgang mit Menschen, anderen Denkweisen und eigenen und fremden Normen

Fertigkeiten und Fähigkeiten trainieren,

Gelerntes anwenden, in neuen Zusammenhängen erproben (Probehandeln im Schonraum der Schule)

erproben ihr Können und Denken,

lernen neue Sichtweisen (Perspektivenwechsel) und Verhaltensmöglichkeiten kennen und prüfen sie

Einstellungen bilden und Verhalten prägen

erwerben Sach-, Interaktions- und Kommunikationskompetenz für soziale, ökonomische und politische Entwicklungen,

haben Vertrauen in ihr eigenes Können

Spiele und dialogische Erziehung und Bildung für die „Eine Welt“

Richten wir einmal unser Augenmerk auf die Spiele, die durch Entwicklungsdienste und in fachdidaktischen Zeitschriften und Büchern zu Themen „Dritte Welt, Entwicklungsländer und -hilfe“ publiziert worden sind. Eine Sichtung des Angebotes der Entwicklungsdienste (hier auf der Grundlage der Übersicht von Südwind (http://www.vobs.at/suedwind/SPIELE.HTM) und Brot für die Welt (Spiele zur Entwicklungspolitik. 37. Aktion 1995/ 96) zeigt, dass besonderer Wert auf stark verregelte Lernspiele mit Gesellschaftsspielcharakter (z.B. Quartett, Würfel- und Kartenspiel) gelegt wird, also auf die Vermittlung von weitgehend zusammenhanglosem Wissen.

Mehr als die Hälfte aller vorgeschlagenen Spiele gehört zu dieser Spielform. Jeweils ein Fünftel entfällt auf Planspiele und Rollenspiele, in denen soziale, ökonomische und politische Strukturen und Entwicklungen in spielerischer Form aufgearbeitet werden. Ganz am Rande stehen szenische Spiele, die in diesem inhaltlichen Kontext sehr viel „leisten“ könnten. In den fachdidaktischen Zeitschriften (beispielhaft an geographischen und sozialkundlichen betrachtet) überwiegen mehrheitlich die Simulations- und dabei insbesondere die Planspiele.

Was beim Einsatz von Spielen zu bedenken ist – eine Checkliste

  • Warum will ich im Unterricht spielen? Welche kognitiven, sozialen und emotionalen Ziele sollen verfolgt werden? Kann ich diese Ziele mit anderen Methoden (Projekt, Fallstudie, Begegnung, Erkundung, Brief- und Intenetkontakt) evtl. besser erreichen?
  • Welches Spiel oder welche Spiele kommen dafür in Frage?
  • Wie werden die Schüler den Spielvorschlag aufnehmen? Altersgemäßheit, Spielerfahrungen
  • Wie ist das Spiel strukturiert, wie läuft es ab? Offenheit vorhanden, spannend gestaltet, Spielregeln verständlich, zu lange Vorbereitungen, Zeitbedarf u.a.
  • Welche Vorkenntnisse und Einstellungen der Schüler sind zum Spiel notwendig? (Stehen evtl. bestimmte Spielgewohnheiten dem ausgewählten Spiel entgegen?)
  • Welche Spielmaterialien müssen bereitgestellt werden? Was können sich die Schüler dazu selbst besorgen oder herstellen?
  • Sind es Einzel-, Partnerspiele oder Gruppenspiele? Wie und wann erfolgt die Gruppenbildung?
  • Welche Anforderungen werden an die Spielleitung gestellt? Animative Qualitäten, Hilfestellungen geben zur Selbsthilfe, isolierte Schüler in das Spielgeschehen integrieren. Können und sollen die Schüler die Leitung übernehmen?
  • Kann bzw. muss das Spiel im Unterricht ausgewertet werden?

Das breite Angebot ist zunächst beeindruckend. Analysieren wir jedoch diese Spiele, so ist ihr Spielwert nicht immer sehr hoch und es ist auch ein Fragezeichen daran zu setzen, ob sie helfen die Welt neu zu denken, ob durch sie Hoffnungen, Wünsche, persönliche Verhaltensstrategien und interkulturelle Kompetenz entwickelt werden können und ob das Freiheits- und Utopieangebot des Spiels genutzt wird. Ohne Zweifel - und das ist sicherlich ein erster Schritt - helfen viele dieser Spiele das Fremde kennen zu lernen und zu verstehen, einfache politische und ökonomische Zusammenhänge zu begreifen, sich selbst und andere aus verschiedenen Perspektiven einzuschätzen und den Eigenwert des Anderen zu achten.

Kehren wir zum Schluss zu dem eingangs angerissenen Dilemma zurück. Die Möglichkeiten des Spiels im Unterricht sind zwar begrenzt, doch Einiges kann auch hinsichtlich einer dialogischen Erziehung und Bildung mit dem Spiel angestrebt werden. So bieten neben den gerade analysierten Spielen auch Interaktionsspiele, die gar nichts mit der „Dritte-Welt“-Problematik zu tun haben müssen, entsprechende Chancen. Interaktionsspiele können ganz allgemein Einfühlungsvermögen, Zuneigung, Flexibilität, Experimentierfreudigkeit, Toleranz, Zurückstecken eigener Interessen, Metakommunikation, sprachliche Desambiguierung, En- und Dekodierungsfähigkeit, divergierendes Denken, Hilfsbereitschaft, Kooperationsfähigkeit und Selbstvertrauen entwickeln. Bei den Schülern selbst und ihrem Umfeld anzufangen ist ein notwendiger Schritt. Doch kann es dabei nicht bleiben. Die Fragen nach einer anderen gerechteren und solidarischeren Welt müssen sich im Spiel selbst stellen und zu einer Beantwortung kommen. Spiele, die das zulassen, die hinsichtlich der Erziehung zur „Einen Welt“ „zwanglose Selbstbildung“ bewerkstelligen, nach Hans Scheuerl (1989, S.18) das Beste, was wir uns vom Spiel erhoffen können, davon gibt es jedoch noch zu wenige, sie müssen noch erfunden werden.

Literatur:

  • Baer, U.: Wenn der Lehrer Spielleiter ist. In: Arbeitsgruppe Oberkirchner Lehrmittel (Hrsg.): Schulspaß und Schulspiele. Handbuch zum Schulalltag 2, Reinbeck b. Hamburg 1983.
  • Busse, Gerd: Spiele im Erdkundeunterricht. In: geographie heute, 6 (1985), H.27, S. 2-6.
  • Caillois, R.: Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch, Frankfurt a. M. 1982.
  • Daublebsky, B.: Spielen in der Schule, Stuttgart 1973. Deutsche Bildungsrat (Hrsg.): Spielen und Gestalten. Die Eingangsstufe des Primarbereichs, BD. 2/1. Stuttgart 1975.
  • Goffmann, E.: Interaktion: Spaß am Spiel. Rollendistanz, München 1973.
  • Heckhausen, H.: Entwurf einer Psychologie des Spielens. In: Flitner, A. (Hrsg.): Das Kinderspiel. München 1873, S. 133 – 149.
  • Huizinga, J.: Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. Hamburg 1956.
  • Krappmann, L.: Sozialisation im Spiel. In: Die Grundschule 5 (1973), H. 3, S. 195 – 201.
  • Krappmann, L.: Soziales Lernen im Spiel. In: Frommberger, H. u. a. (Hrsg.) Lernendes Spielen – Spielendes Lernen, Hannover 1976, S. 42 – 47.
  • Kerbs, D.: Das Ritual und das Spiel – Über eine politische Dimension der ästhetischen Erziehung. In: Ästhetik und Kommunikation 1 (1970), H. 1, S. 40 – 47.
  • Lehmann, J. (Hrsg.): Das Spiel zwischen Simulation und Konstruktion. In: ders. (Hrsg.): Simulations- und Planspiele in der Schule, Bad Heilbrunn/Obb. 1977, S. 225 – 233.
  • Meyer, Hilbert: Unterrichtsmethoden II: Praxisband, (11. verb. Aufl.) Frankfurt a. M. 2000.
  • Scheuerl, H.: Spiel – ein menschliches Grundverhalten? In: ders. (Hrsg.): Theorien des Spiels, Weinheim/Basel 197510, S. 189 – 208.
  • Scheuerl, H.: Spieldeutungen im Wandel. In: v. d. Horst, R. u. Wegener-Spöhring, G. (Hrsg.): Neues Lernen für Spiel und Freizeit. 1. Göttinger Symposium. Dokumentation, Ravensburg 1989, S.12 – 21.
  • Schiffer, H.: Schule und Spielen, (Workshop Schulpädagogik: Materialien: 19), Ravensburg 1976.
  • Sutton-Smith, B.: Die Idealisierung des Spiels. In: Grupe, O. u. a. (Hrsg.): Spiel - Spiele – Spielen, Schorndorf 1983, S. 60 – 75.
  • Sutton-Smith, B.: Die Didaktik des Spiels, Schorndorf 1978.
  • Wegener-Spöhring, G.: Soziales Lernen im Spiel. Untersuchung seiner Möglichkeiten und Grenzen im Bereich Schule. Kiel 1978.
  • Wegener-Spöhring, G.: Spiel ist die Freiheit der Kinder. Soziales Lernen im Spiel. In: Schäfer, G. E. (Hrsg.): Soziale Erziehung in der Grundschule. Rahmenbedingungen, soziales Erfahrungsfeld, pädagogische Hilfen, Weinheim/München 1994, S. 209-224.