Neue Ansätze zur Entwicklungstheorie

von Reinold E. Thiel

In der grundlegend veränderten und sich verändernden geopolitischen Landschaft, die gekennzeichnet ist durch das Ende der Ost-West-Konfrontation und die wachsende Komplexität und Interdependenz der Weltprobleme, die Chancen und Risiken der Globalisierung, die stetig zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, Migration, Flucht, ethnische Konflikte und Kriege, ist auch ein neues Nachdenken über Sinn, Ziel und Perspektive von Entwicklung gefragt. Entwicklungspolitik wird hier als „Globale Strukturpolitik“ verstanden, die hinwirken muss auf ein neues Weltbild, das die Eine Welt im Blick hat und die bestimmt werden muss von der Bereitschaft und Kompetenz zur internationalen Zusammenarbeit.

Die Blickrichtung orientiert sich dabei an dem Bewusstsein zur Veränderung der politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen sowohl bei uns, den Menschen in den Industrieländern, als auch bei den Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern. Für diese Sichtweise der Entwicklungspolitik als globale Friedenspolitik und als Gestalterin einer globalen Strukturpolitik sind entwicklungstheoretische Erklärungsversuche und Handlungsmodelle notwendiger denn je. Praxis braucht Theorie genauso wie die Theorie ohne Praxis nur ein dürres und lebloses Gerüst ist. Wenn die Theorie im Sinne von Karl Popper einen unersetzlichen Kompass darstellt, dann sind Entwicklungstheorien auch Leitlinien für Interkulturelles Lernen und Globale Bildung. Was also sind Entwicklungstheorien?

Gewöhnlich wird diese Frage mit dem Hinweis auf Modernisierungs- und Dependenztheorie beantwortet. Das ist jedoch eine verkürzte Sicht. Bei genauerem Hinsehen sehe ich sieben theoretische Ansätze, die sich dieser Kategorie zuordnen lassen.

Reden wir zunächst von den beiden offensichtlichen Kandidaten (die hier vereinfacht dargestellt werden, ohne auf die zahlreichen Spielarten einzugehen):der Modernisierungstheorie, die in den 50er und 60er Jahren, ausgehend vor allem von den USA, die Auffassung vertrat, Wachstum (das mit Entwicklung gleichgesetzt wurde) sei in der Vergangenheit vor allem eine Frage des verfügbaren Kapitals gewesen, die Zufuhr von Kapital werde daher auch in den unterentwickelten Ländern Wachstum induzieren, werde diese Länder dazu befähigen, dem Modell der bereits entwickelten kapitalistischen Länder zu folgen,eine Theorie also, die ein einheitliches Entwicklungsmuster für alle Länder der Welt zugrunde legte; und der Dependenztheorie, die (verwurzelt in der Imperialismustheorie von Hobson, Lenin und Rosa Luxemburg, bei der das Kapital gerade die Unterentwicklung verursachte) von einer strukturellen Ungleichheit zwischen den Ländern der Metropolen und denen der davon wirtschaftlich und politisch abhängigen Peripherie ausging (Strukturalismus) und Entwicklung nur erwartete, wenn die Peripherie sich von den Metropolen unabhängig machte, sich „abkoppelte“.

Aber nicht nur diese beiden Theorien waren gemeint, wenn in der oben zitierten Debatte Scheitern konstatiert wurde. Vielmehr galt diese Einschätzung auch dem „real existierenden Sozialismus“, also dem Modell der Entwicklung durch zentrale staatliche Planung, einem Modell, bei dem deutlicher als bei den beiden erstgenannten die strategische Funktion im Vordergrund steht, und das vor allem aufgrund der Starrheit bürokratischen Denkens am Ende nicht mehr zu Entwicklung führte, womit es gute Argumente für die Überlegenheit der Ideenkonkurrenz in demokratischen und marktwirtschaftlichen Systemen lieferte.

Das ist die dritte der als gescheitert betrachteten Großtheorien, mit der Dependenztheorie zwar verwandt, aber von ihr vor allem in einem strategischen Aspekt unterschieden: in der Doktrin der Verstaatlichung der gesamten Wirtschaft.

Die vierte Großtheorie ist das neoliberale Modell, das Entwicklung erwartet von einer Entfesselung der Märkte, vor allem der Finanzmärkte, und einer Beschränkung der Staatsfunktionen auf die Herstellung marktgünstiger Rahmenbedingungen, und das in den entwickelten Ländern in Reaganomics und Thatcherism, in der Entwicklungspolitik im Washington Consensus der Bretton-Woods-Institute seinen Ausdruck fand.

Vom neoliberalen Modell meinen zwar einige Autoren, es sei mit der wirtschaftlichen Katastrophe der ostasiatischen Tigerstaaten seit Mitte 1997 (und mit den Zusammenbrüchen in Mexiko, Brasilien und Russland) als gescheitert anzusehen, aber von anderen (den Mainstream-Ökonomen) wird es weiterhin für das Panacea wirtschaftlicher Entwicklung gehalten. Es ist allerdings mit der ursprünglichen Modernisierungs- (Wachstums-)theorie eng verwandt und könnte ebenso gut als deren neuere Spielart gelten. (Davon, dass die Weltbank inzwischen an ihr nicht mehr festhält, wird noch zu reden sein.)

Schließlich hat mit der Analyse der Entwicklungserfolge Japans und seiner ost- und südostasiatischen Nachfolger ein weiterer theoretischer Ansatz Beachtung gewonnen: das von dem japanischen Ökonomen Akamatsu Kaname in den 30er Jahren entworfene und später von anderen Autoren weiterentwickelte „Gänseflug-Modell“, das eine kaskadenartige Entwicklung der Länder des großostasiatischen Wirtschaftsraums voraussagte und in seiner Anwendung tatsächlich auch bewirkte.

Diese Volkswirtschaften wuchsen auf der Basis staatlich gelenkter Privatwirtschaft und einer hohen internen Sparquote und wurden erst zu Fall gebracht, als sie sich dem Modell des Washington Consensus unterwarfen, ihre Finanzmärkte deregulierten und sie vom überschüssigen Kapital der westlichen Industrieländer überfluten ließen. Das Gänseflug-Modell (als fünfte Großtheorie) ist also keineswegs gescheitert, vielmehr ist es das einzige, dessen Anwendung den vorausgesagten Erfolg gehabt hat.

Nun haben alle diese Modelle (oder Großtheorien) gemeinsam, dass Gegenstand ihrer Analyse in erster Linie wirtschaftliches Wachstum und nachholende Entwicklung sind, und dass sie daher vorrangig die Wirkungskraft wirtschaftlicher Faktoren untersuchen. Sie sind sämtlich im weiteren Sinn Wachstums-theorien. Den ökonomistischen Theorien gegenüberzustellen sind zwei weitere theoretische Ansätze, die über den Bereich des Ökonomischen hinausgreifen: das Konzept von Entwicklung als Kulturphänomen, und das Konzept nachhaltiger Entwicklung.

Das Konzept der kulturellen Bedingtheit von Entwicklung geht zurück auf Max Webers Schriften zur Religionssoziologie. Weber sah in seiner 1905 erschienenen Schrift „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“ die Entstehung des expandierenden Kapitalismus in Europa und Nordamerika im Zusammenhang mit einer bestimmten, religiös fundierten Arbeits- und Wirtschaftsethik: Gott wohlgefällig ist, wer hart arbeitet, aber sich durch den dabei erzielten Gewinn nicht zu übermäßigem Konsum verleiten lässt („innerweltliche Askese“) und daher den Gewinn zur Re-Investition zur Verfügung hat. Den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und religiös-kul-turellem Wertesystem, den Weber zunächst nur für den christlich-protes-tantischen Raum beschrieben hatte, untersuchte er anschließend in drei weiteren Studien („Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen“) für die großen asiatischen Religionen und das antike Judentum. Studien zum frühen Christentum und zum Islam konnte er nicht mehr fertigstellen.

Dass Weber für Japan nicht zu einer Voraussage der auch hier schon deutlich werdenden kapitalistischen Entwicklung kam, lag daran, dass er nicht über genügend Informationen verfügte; aber er hat mit seinen Überlegungen einen Denkansatz begründet, der von anderen Autoren weitergeführt wurde (z. B.Morishima, Yamamoto und Otsuka zu Japan, Redding zu China, Magnis-Suseno zu Indonesien, Turner und Lapis zum Islam), und der sich inzwischen als überaus fruchtbar erwiesen hat.

Der Kernpunkt ist: Nur die Untersuchung außerwirtschaftlicher Zusammenhänge kann Aufklärung darüber bringen, warum wirtschaftliche Faktoren sich an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit so auswirken, dass es zu Entwicklung kommt und an einem anderen nicht. Die Konfuzianismus-These und die Berufung auf „asiatische Werte“ sind die Trivialisierung und Simplifizierung von Webers Denkansatz, und die heftigen Reaktionen auf sie (Senghaas, Fukuyama, Eun-Jung Lee) zeigen nur, dass Kultur ein zu kompliziertes Phänomen ist, als dass es sich mit einem Schlagwort erfassen ließe.

So hat man die Frage gestellt, wieso der in China wie in Japan existierende Konfuzianismus nicht in beiden Ländern in gleicher Weise zu Entwicklung geführt hat, dabei aber außer Acht gelassen, dass es sich um Konfuzianismen mit unterschiedlicher Werte-Hierarchie handelt, dass der für Japan bedeutsame Einfluss des Zen-Buddhismus in China nicht wirksam war, dass die von Weber für äußerst wichtig gehaltene Struktur einer „rationalen Bürokratie“ in Japan existierte, während die literarisierte Beamtenkaste Chinas deren Leistungen nicht erbringen konnte; kurz, dass viele Faktoren zusammenkommen müssen, um den Anstoß für Entwicklung zu geben.

Wie tiefgreifend die Untersuchung der kulturellen Faktoren sein muss, um tatsächlich zu einer Erklärung der Entwicklung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen beizutragen, hat auf frappierende Weise Robert Putnam gezeigt, der nachweisen konnte, dass die im 12. Jahrhundert in Italien angelegten gesellschaftlichen Organisationsstrukturen (autoritärer Zentralstaat im Süden, kommunale Autonomie im Norden) in historischer Konsequenz zu dem heutigen Gegensatz von Stagnation in Süd-italien und Aktivität in Norditalien geführt haben.

Die Überlegungen Max Webers und seiner Nachfolger zeigen, dass wirtschaftliche Entwicklung ein Phänomen ist, das sich nicht allein aus wirtschaftlichen Faktoren erklären lässt, das vielmehr eingebettet ist in die Gesamtentwicklung einer Kultur, das beeinflusst wird durch gesellschaftliche Institutionen und das gesellschaftliche Wertesystem. Aber die sich daraus herleitende Denkschule ist weitgehend isoliert geblieben, zu einer wechselseitigen Befruchtung mit den Denkansätzen der Ökonomen ist es nicht gekommen.

Die Ursache dafür waren Berührungsängste auf beiden Seiten. Einerseits haben die Kulturalisten, die in der Regel nichts von Ökonomie verstanden, nicht den Mut gehabt, den Ökonomisten ihre Einsichten aufzudrängen. So hätten etwa die „Cultural-Values“-Studien, die in den 50er und 60er Jahren in den USA zahlreiche Forscher beschäftigt haben, oder die von David McClelland begründete Schule der „Achievement Motivation“ und natürlich die Wirtschafts-ethnologie, für die Entwicklungstheorie wichtige Anregungen liefern können, haben dies aber bedauerlicherweise nicht getan.

Robert Klitgaard (Ökonom, aber ein Wanderer zwischen den Welten) hat in einem Aufsatz von 1992 an eine Konferenz erinnert, die 1954 unter Leitung des französischen Soziologen Georges Balandier in Paris stattfand und das Programm aufstellte, kulturelle Erklärungsansätze für Entwicklung in die Theorie und die Politik einzubringen; Klitgaard beklagt dann, dass dies in den fast 40 Jahren seither nicht geschehen sei, und macht dafür Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Wissenschaften verantwortlich:

„Intellectual cultures clashing: (there are) ,cultural differences‘ within academia between anthropologists and economists, or more generally between human-ists and scientists.... Bluntly, anthropologists have opted out of the major problems of development for reasons close to cultural.“

Den Anthropologen hat, so Klitgaard, das Bewusstsein, dass sie dem Kolonialismus zu Diensten waren, einen solchen Schock versetzt, dass sie sich nie wieder in etwas hineinziehen lassen wollen, und daher auch nicht erkennen können, wann es geboten wäre.

Die Ökonomen andererseits haben, seit sie die Mathematik entdeckt haben, den Ehrgeiz gehabt, wirtschaftliche Vorgänge in mathematischen Formeln darzustellen, d.h. ihre Wissenschaft, die es doch mit menschlichem Handeln zu tun hat, aus dem Bereich der Humanwissenschaften in den der Naturwissenschaften zu transponieren. Die unausbleibliche Folge war, dass bei den Entwicklungs-theorien der Ökonomen alle nicht quantifizierbaren, alle nicht mathematisch ausdrückbaren Faktoren außer Acht bleiben mussten, dass also eine Beschäftigung mit kulturellen Faktoren nicht mehr denkbar war. Erst in den letzten Jahren kommt es hier bei einigen Ökonomen (die sich mit Institutionen, d.h. mit gesellschaftlichen Werten und Regelsystemen befassen) zu einem Umdenken.

Der hier umrissene theoretische Ansatz, die kulturalistische Erklärung von Entwicklung, steht also den ökonomistischen Ansätzen im wesentlichen unvermittelt gegenüber. Das Potential des kulturalistischen Ansatzes zur Erklärung von Entwicklungsprozessen ist noch weitgehend unausgeschöpft. Sie ist die sechste „Großtheorie“ in der hier vorgestellten Reihe.

Schließlich muss vom Konzept nachhaltiger Entwicklung die Rede sein. Dies ist der einzige unter den hier aufgezählten theoretischen Ansätzen, der sich nicht in die anfangs zitierte menzelsche Definition fügt, weil seine Absicht nicht vorrangig darin besteht, geschehene Entwicklung (und Unterentwicklung) zu erklären, sondern für künftige Entwicklung eine aller bisherigen diametral entgegengesetzte Zielsetzung zu definieren:

Einschränkung statt Expansion. Oder anders: weil er aus der Erklärung der bisherigen Entwicklung nicht ableitet, was zu tun ist, damit auch der Rest der Welt entwickelt wird, sondern vor allem: was nicht getan werden darf, damit die ganze Welt entwicklungsfähig bleibt. Das Konzept nachhaltiger Entwicklung ist normativ, ist teleologisch, der strategische Aspekt ist hier stärker ausgeprägt als der erklärende.

Das Konzept hat (obwohl Ökonomen wie Arthur Pigou oder William Kapp schon Jahrzehnte vorher verwandte Überlegungen anstellten) seinen Ursprung im ersten Bericht des Club of Rome, der 1972 veröffentlichten Studie von Denis Meadows über die Grenzen des Wachstums, und den etwa gleichzeitigen Arbeiten von Nicholas Georgescu-Roegen über die Bedeutung des Entropie-Gesetzes für die Wirtschaft, also in ökologischen Überlegungen. Ausgestaltet und auf politische Anwendung orientiert wurde es später vor allem durch den Brundtland-Bericht von 1987. Aus diesem Bericht stammt die Definition:

„Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

In der heutigen Diskussion wird diesem Gesichtspunkt, dass die Bedürfnisse künftiger Generationen berücksichtigt werden müssen, gewöhnlich noch die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit innerhalb der lebenden Generation hinzugefügt. Diese Forderung gehört streng genommen nicht in die ökologische Diskussion; das Konzept nachhaltiger Entwicklung ist aber heute in der politischen Diskussion ein Amalgam aus ökologischen und sozialen Überlegungen. Meadows historisches Verdienst ist es, nachdem die Diskussion über Umweltverschmutzung bereits begonnen hatte, im Bewusstsein der Menschheit verankert zu haben, dass wir auf einem endlichen Planeten leben und unsere Ressourcen erschöpfbar sind.

Dass die in seiner Studie genannten Werte für die Vorräte bestimmter Rohstoffe oder für die Hochrechnung bestimmter Schadenswirkungen bald durch neue Funde oder präzisere Berechnungen überholt werden würden, hat Meadows selbst vorausgesehen; es tut der grundsätzlichen Gültigkeit seiner Überlegungen keinen Abbruch: Wirtschaftliche Entwicklung kann langfristig die ihr durch die Beschränktheit der Ressourcen gesetzten Grenzen nicht ignorieren, sondern muss sich ihnen anpassen. Das ist bisher nur von kleinen Gruppen wirklich verstanden worden; die Politik sowohl der Einzelstaaten wie der internationalen Organisationen hat daraus keine grundsätzlichen Schlussfolgerungen gezogen.

Alle nationale Wirtschaftspolitik beutet die Ressourcen so ungehemmt aus wie vorher, alle Entwicklungspolitik läuft auch weiterhin darauf hinaus, nachholende Entwicklung zu postulieren, d.h. den unterentwickelten Gesellschaften dieser Welt die Erreichbarkeit des europäisch-nordamerikanischen Lebens- und Wirtschaftsmodells zu versprechen.

Allerdings hat auch die ökologische Bewegung selbst zu wenig getan, um dem ökologischen Gedanken und dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung den Geruch der Realitätsferne zu nehmen. Sie hat zwar in zahlreichen Publikationen gezeigt, dass es möglich ist, mit geringerem Ressourcenverbrauch zu leben und zu wirtschaften, hat dies aber im Wesentlichen im Hinblick auf die Frage der Bedürfnisbefriedigung durchdacht. Sie hat versäumt darzulegen, wie ein Wirtschaftssystem insgesamt funktionieren könnte, das vom Grundgedanken der Ressourcenschonung ausgeht.

Wenn wir uns z.B. entschließen würden, nur noch langlebige Güter herzustellen, wie würde sich dies auf die Arbeitsmärkte auswirken? Was soll an die Stelle der Marktsteuerung durch Preise und Kapitalinvestition treten?

Solange die ökologische Bewegung nicht in der Lage ist, ein makroökonomisch schlüssiges Modell ökologischen Wirtschaftens vorzulegen und zugleich politische Strategien für dessen Durchsetzung vorzuschlagen, wird sie in der Politik keine Mehrheiten finden.

Eben jetzt hat sich Ernst Ulrich von Weizsäcker, einer der wichtigsten Protagonisten dieser Denkrichtung, anlässlich seines neuesten Buches vorwerfen lassen müssen, er komme über das Wünschen nicht hinaus, er bemühe sich nicht, eine politische Durchsetzungsstrategie zu entwerfen. Die Vorstellung, der Wandel zu einer ökologischen Wirtschaft könne durch eine allgemeine Bewusstseinsveränderung bewirkt werden, ist in der Tat wirklichkeitsfremd.

Mit dem Konzept der nachhaltigen Entwicklung haben wir also insgesamt sieben unterschiedliche theoretische Ansätze vor uns, die den Anspruch auf Deutung gesamtgesellschaftlicher, welthistorischer Veränderungsprozesse erheben:

  1. Wachstumstheorie i.w.S. (Moderni-sierungstheorie)
  2. Dependenztheorie (Strukturalismus)
  3. Zentralplanungsmodell (realer Sozialismus)
  4. Neoliberales Modell (Washington Consensus)
  5. Modell staatlich gelenkter Privatwirtschaft (Gänseflug-Modell)
  6. Konzept der kulturellen Bedingtheit von Entwicklung
  7. Konzept der nachhaltigen Entwicklung

In der Diskussion um die Weiterentwicklung des Eine-Welt-Bewusstseins im schulischen und außerschulischen Lernen, das ja bestimmt sein muss von der Überzeugung, dass Lernen eine lebenslange Aufgabe darstellt, wird sich die Zeitschrift „Entwicklung und Zusammenarbeit“ (E+Z) beteiligen, ebenso wie die Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung (DSE) mit ihrer Zentralstelle für Erziehung, Wissenschaft und Dokumentation (ZED) . Wenn mittlerweile unwidersprochen die Erkenntnis gilt, dass die „großen Entwicklungstheorien“ gescheitert sind und die Orientierung hin zu theoretischen Ansätzen, Modellen und Konzepten sinnvoll erscheint, dann wird mit diesem Beitrag auch dafür plädiert, bei der Entwicklung des interkulturellen und globalen Lernens der Vielfalt eine Chance zu geben.