Moderne und Mobile Jugendarbeit

Vom Fall zum Mensch

von Dieter Wolfer

In der heutigen jugendpolitischen Landschaft ziehen sich Kommune und Staat immer weiter aus der Verantwortung, da Gelder nicht mehr in ausreichender Form zur Verfügung stünden. Die Menschen sollen sich mehr ihrer Selbstverantwortung stellen. Menschen werden zu „Fällen“. Demgegenüber entwickelt die Profession Sozialer Arbeit ständig neue und verweist zudem auf alt bewährte Konzepte und Ansätze der Mobilen Jugendarbeit/ Streetwork und auf die Ausführungen Paulo Freires.

Fachstandards der Mobilen

Jugendarbeit

Im zusammenwachsenden Europa gelten soziale Fachstandards (vgl. Bundes-Fachstandards Mobile Jugendarbeit/ Streetwork in: Gillich 2003; Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales 2002; für die Schweiz: FAGASS 2005) als Standortnachteil einer konkurrierenden Wirtschaft, weil soziale Standards als kommunale Leistungen höhere Ausgaben einfordern. „Hilfe für Hilflose“ gilt demnach als eine beinahe unnötige Investition der Leistungsgesellschaft im „aktivierenden Staat“ (Lutz 2006) zwischen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage. Der „Mensch wird ökumenisiert“ (Thiersch 2005). Die Gefahr, Menschen nach ihrem produktiven Wert zu messen, Ausgeschlossene und Alleingelassene, auf sich selbst gestellte Erwachsene, Kinder und Jugendliche wieder als Subjekte zu betrachten, verdichtet sich[1].

Im europäischen Vergleich wird festgestellt, dass es eine bereits gut ausgebaute Jugendarbeit in der Bundesrepublik. Die Methoden und Ansätze sollen messbarer gestaltet werden, denn Wirkungsziele[2] der außerschulischen Jugendarbeit scheinen kaum Wirkung im Zusammenhang von Jugend und Arbeit aufzuweisen. Sozialpädagogische Betreuungen sind zu teuer und deshalb „unmodern“. Ambulante und stationäre Betreuungen sprengen die Möglichkeiten, die Kommunen und Bund zurzeit sehen. Auch hier entsteht die Frage nach Qualität, Länge, Wirkungsmöglichkeit und Nutzen einer sozial-pädagogischen Beziehungsarbeit, Begleitung und Beratung von Einzelnen und Familien.

Im Allgemeinen kümmert sich also eine defizitorientierte oder besser eine unterstützende Jugendarbeit um junge Menschen, die Leistungen beziehen, aber „kaum bereit sind, Leistungen für die Gesellschaft zu erbringen“ oder keine erbringen können. In diesem Sinne wird nun mehr gefordert, anstatt gefördert. Die Fragen der Politik nach Notwendigkeit, Nutzen, Wirkung und momentanem „modernen“ Bedarf werden nun im noch neuen Jahrtausend gestellt.

Fachstandards sind nicht regional gebunden. Fachstandards der Sozialen Arbeit fordern ein Mindestmaß an professioneller Arbeit über Grenzen hinweg.

Ein Blick in die Geschichte zeigt uns demgegenüber, dass es bei Modernisierungen auch immer Modernisierungsverlierer gab. Es folgten neue und erweiternde Armut und „neue“ Hilfekonzepte. In diesem Zusammenhang entstanden nach der Einführung der Dampfschifffahrt z.B. Anlaufstellen für „gestrandete“, arbeitslose und verarmte Seemänner (Kiebel 2005 und Kiebel in: Gillich 2006).

Das KJHG[3] und somit die Jugendarbeit wird einschränkt (Wolfer 2005d, Krafeld 2005) und somit die rechtzeitige und unterstützende Jugendarbeit. Versäumen Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfänger Termine oder kommen gestellten Aufforderungen nicht nach, können Leistungen eingeschränkt, gekürzt bzw. eingestellt werden. Dass sich über Jahre erlerntes oder auf Grund von Konsum bedingtes Verhalten so nicht zwangsläufig transformieren lässt, bleibt unberücksichtigt.

Zudem mangelt es an Verständnis, das meist auf nicht selten einschneidende Erfahrungen fußt und somit bestimmte Handlungskompetenzen entwickeln lässt. Gerade die Anforderungen in Verbindung mit einschneidenden Lebenserfahrungen überfordern aber nicht selten unsere Adressatinnen und Adressaten. Die Hilfeabhängigkeit wird auf Grund von Bevormundung und autoritären Umgangsweisen gefördert (Lutz 2005/6)

Somit sind weiter Verhaltensunsicherheiten bzw. -auffälligkeiten in Verbindung mit sogenannten delinquenten Handlungskon-zepten verstärkt prognostizierbar (Wolfer 2006).

Der Auftraggeber Mobiler Jugendarbeit/ Streetwork

Die praktizierende Sozialarbeit / Pädagogik beachtet das „Kunden- und Auftraggebersystem“. Als erster Auftraggeber der Jugendarbeiter ist der eigene Arbeitgeber bzw. die Institution zu beachten, danach folgen Ausschüsse, Stadtrat, Gemeinde, Kommune, allgemeine Politik und sonstige Geldgeber wie Firmen, Stiftungen und Sponsoren. Die Profession befindet sich im ständigen Spannungsfeld zwischen eigenem Anspruch, erarbeiteter Fachstandards und den Erwartungen des Auftraggeber- bzw. Kundensystems. Dreh- und Angelpunkt der sozialpädagogischen Arbeit ist der eigentliche „Kunde“, der rat- und begleitungssuchende junge Mensch.

Weiterhin wird von kommunaler Seite versucht, unterschiedliche Parameter zur Qualitätsfeststellung der unterschiedlichen ambulanten, stationären und teilstationären Sozial- bzw. Jugendhilfe zu entwickeln oder unterschiedliche Wirkungsziele und Wirkungspotenziale zu beschreiben. Doch dabei bleibt die Fragwürdigkeit nach Messbarkeit effektiver und effizienter Beziehungsarbeit. Beziehungsarbeit kann m. E. nur gelingen, wenn der Bezug auf der Kundenorientierung gegenüber der Klientel festgesetzt, an der Klientel gemessen, ausgerichtet und mit ausreichenden Zeitressourcen ausgestattet wird. Qualität und Leistung wird demnach an der Zufriedenheit des Leistungsnehmers gemessen. Dies unterstreicht den Ansatz partizipativen Arbeitens.

Das Klientel rückt als Protagonist, als Hauptakteur, als Experte seiner Lebenswelt und als „Kunde“ in den Mittelpunkt aller Betrachtung, Befragung und Konzeptentwicklung. Sozialpädagogische Me-thoden und Maßnahmen wollen die Adressaten und Adressatinnen, in ihrer Lebenswelt zielgerichtet akzeptieren, kennen und verstehen lernen, unterstützen, begleiten und beraten, um so gemeinsam zu Lösungsstrategien und zur Entwicklung von Zukunftsperspektiven zu gelangen. Dabei werden „alternative“ Lebensentwürfe bzw. -formen geachtet. Ziel ist zur selbstständigen, wenn auch „alternativ“ gestalteten,aberselbstbewusstenLebens-führung zu motivieren und zu aktivieren.

Prävention und Erziehung: Fordern und Fördern

In der Praxis nehmen wir strukturelle Defizite in Stadtteilen und Lebensräumen wahr. Wir sind mit verhältnismäßig hoher Familienarmut, mit Überschuldung und Chancenungleichheit konfrontiert. Die Profession entwickelt verschiedene sozial- und lebensraumorientierte Kompetenzen und unterschiedliche Konzeptionen bezüglich einer innovativen und präventiven Jugendarbeit. Libel konkretisiert dies:Steckt nicht jede Art von Prävention voller Widersprüche und wird gerade unter Bezug auf Kinder oft in paternalistischer und kontrollierender Weise missbraucht? (…) Meines Erachtens besteht zwischen dem Konzept des Protagonismus und Konzepten von Prävention ein kaum zu lösender Widerspruch."[4]

Präventive Ansätze in der Jugendarbeit sollen eine Transformation zu positiven Wertevorstellungen, eine Entwicklung von Zukunftsperspektiven und somit zu Lernprozessen anregen, die wiederum zur Verbesserung der individuellen Verhaltenskompetenzen in der Interaktion mit dem jeweiligen Umfeld führt.

Mit dieser aktivierenden Arbeit wird also ein gemeinsames, dialogisches Lernen  im schulischen und außerschulischen Bereich (vgl. Paulo Freire und Célestin Freinet) bevorzugt, gemeinsam entwickelt und angeboten:

  • das sog. problematische Einzel- und Gruppenverhalten bzw. Systeme erkennt,
  • das erfasst und analysiert, wer eigentlich ein Problem mit auffallendem bzw. nicht angepassten Verhaltensweisen oder Lebensentwürfen hat,
  • welche Konsequenzen unangepasste Verhaltenskonzepte für sich und andere mit sich bringen können,
  • welche Alternativen es zur gemeinschaftlichen Akzeptanz geben kann.

Hierbei nimmt die sozialpädagogische Arbeit eine vermittelnde Funktion ein (Wolfer 2005a). Dabei vermittelt Sozialpädagogik nicht nur zwischen Parteien, sondern bei altersbedingten Problem- und Lebenslagen, z.B. in der Pubertät, bei sonstigen Krisen und akuten Notlagen, bei Depressionen, Traumata, Mehrfachbedarfslagen u.v.m.

Vertrauensvolle professionelle und dialogische Beziehungsarbeit führt hierbei zur Transformation von erlernter (meist problembeladener) Handlungsmuster, in konstruktive Verhaltenskonzepte und eröffnet somit Zukunftsperspektiven.

Verweigerung und Vermeidungsstrategien:  Hilfe- und Fallvermeidung

Mädchen und Jungen erreichen unterschiedliche Unterstützungsangebote der Jugendhilfe nicht,

  • weil ihnen die Angebote der Jugendhilfe nicht bekannt sind,
  • weil die Angebote nicht attraktiv erscheinen,
  • weil sie Schwellenängste bezüglich der Jugendhilfeangebote, Ämter und Behörden bzw. zur Erwachsenenwelt entwickelt haben,
  • weil sie aufgrund ihrer (z.T. traumatisierten) Erlebnisse und Erfahrungen Verweigerungshaltungen und Misstrauen gegenüber Erwachsenen aufgebaut haben.

Demgegenüber weisen manche Mädchen und Jungen deutlich auf ihre Lebenslage hin und fordern Unterstützung ein. Dabei sind die Prozesse einer Hilfegewährung oft zu langwierig angelegt. Sie befinden sich je nach Alter und Problemlage in einem Schwebezustand zwischen:

  • Jugendhilfe und Arbeitsagentur,
  • Jugendhilfe und Sozialhilfe,
  • Jugendhilfe und Psychiatrie,
  • Jugendhilfe und Justiz.

Andererseits entdecken wir in unserer Praxis Fallvermeidungsstrategien

  • von Amtswegen: Hochschwellige Hürden werden aufgebaut:: kompliziertes und komplexes Antragswesen, regelmäßige Termine, autoritäre Umgangsformen etc;
  • in Familien: Man will nicht auf die Hilfe von Dritten, schon gar auf die Hilfe von Ämtern angewiesen sein oder man will nicht, dass die Nachbarn erfahren, dass das Jugendamt „in der Familie“ präsent ist;
  • bei betroffenen jungen Menschen: Das Misstrauen zu Erwachsenen ist durch einschneidende Erlebnisse geprägt; es wurden Misstrauen, Widerstände und Aggressionen aufgebaut; die Angebote sind hochschwellig und zielgerichtet ausgelegt; die Gesetzesgrundlagen basieren auf Adultismus, sind also erwachsenenzentriert.

Hierbei erleben wir Verweigerungshaltungen, Fallvermeidungen oder Widerstände gegenüber der Jugendhilfe, weil junge Menschen erst ihre eigenen Erfahrungen machen wollen und müssen.

Das Lernfeld Straße ist eine alternative „Straßen-Schule“ (von Dücker 1998). In der Praxis wird im Bezug zur sinnvollen betriebswirtschaftlichen Kostenreduzierung demgegenüber von rechtzeitiger und effektiver, also von partizipativer und somit präventiver Beziehungsarbeit gesprochen.

Bei der „Fallarbeit“ oder bei „präventiven Maßnahmen zur Fallvermeidung“ bleiben folgende Fragen offen:

  • Woran erkennt man eigentlich einen zukünftigen „Fall“, der jetzt zu vermeiden ist?
  • Will der „Fall“ vermieden werden oder will er auf etwas aufmerksam machen?
  • Mit welchen Maßnahmen will/ soll der „Fall“ vermieden werden?
  • Wer entscheidet darüber welcher „Fall“ zu vermeiden ist?

Der Begriff „Fallvermeidende Maßnahmen“ impliziert, dass Menschen, die zukünftig zu kostspieligen „Fällen“ für die Kommune werden (könnten), durch bestimmte sozialpädagogische Maßnahmen aktuell vermieden werden sollen.

Die Wahrnehmung dessen, was jetzt noch kein „Fall“ ist, aber zukünftig einer sein wird, obliegt einem Beobachter.

  • Wer beobachtet dies (bzw. die „Fälle“) am besten?
  • Wer unterscheidet zwischen „Fällen“, die vermieden werden könnten und „Fällen“, die nicht vermieden werden können?
  • Wer misst, wann ein „Fall“ vermieden wurde?
  • Wann lohnt es sich einen „Fall“ zu vermeiden?

Es müsste zumindest jemand sein, der sowohl potentielle „Fälle“ erkennen kann und weiß, wo sie sich befinden als auch jemanden der Erfahrungen darin hat, „Fälle zu vermeiden“.[5]

Bei dem geformten Begriff der „Fallvermeidung“ wird suggeriert, dass Einzelfallmaßnahmen für Jugendliche bzw. für deren Familien zu vermeiden wären. Diese letztlich haushaltspolitische Suggestion wollen wir an dieser Stelle vermeiden, da eine sinnvolle Jugendarbeit laut Gesetzesgrundlagen des SGB VIII aufgebaut ist, obwohl es an einer praktischen Umsetzung der Standards und der gesetzlichen Grundlagen allzu oft mangelt. Dennoch ist die rechtliche Grundlage von hilfebedürftigen Familien in jedem „Falle“ ausschlaggebend.

Wenn es um eine sog. „Fallvermeidung“ gehen soll, dann geht es immer um Veränderung im weitesten Sinne. Dabei ist zwischen einer Veränderung des Individuums, einer Gruppe (meist Verhaltensveränderungen) oder gewisser Kontextbedingungen (z.B. Familie, KiTa, Schule, Umfeld, Lebens- und Sozialraum) zu unterscheiden. Kritisch gesehen wird hierbei die „Nachhaltigkeit“ im Bezug zur Absicht,  Einzelfallhilfen vermeiden zu wollen.

Präventiv-integrative Kooperationsmodelle oder subjektorientierte Maßnahmen?

Anspruch und Umsetzbarkeit von „Prävention und Einzelfallhilfen“ lassen sich trotz der aufzuzeigenden kritischen Auseinandersetzung mit fragwürdigen Begriffen und Definitionshintergründen nicht leicht verknüpfen,

Nach unserer Meinung muss es weiterhin darum gehen, dass Menschen dann intensive sozialpädagogisch Beratung und Betreuung erhalten, wenn ihnen dies als dringend notwendig erscheint. Deshalb sollte es weiterhin und rechtzeitig bei Tod der Eltern oder eines Elternteiles, bei drohender Ausgrenzung, bei akuter Notlage, in der Krise, bei mentalen Notsituationen, bei Risikoverhalten, bei Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung usw. eine ambulante und stationäre Hilfe gemäß §§ 27ff. geben. Diese sozialpädagogische Unterstützung, Betreuung und Begleitung ist in diesen Fällen sinnvoll und zu fördern.

Wir nehmen junge Menschen in besonderen Lebenslagen wahr. Hierbei gibt es jugendliche Lebenswelten und Szenen. Im wesentlichen  geht  es  uns  darum,  junge

Menschen in ihrer krisenhaften Lebenslage und in ihrer Erfahrungswelt wahrzunehmen und rechtzeitig zu begleiten, zu beraten und zu unterstützen, dass erst gar keine manifesten Verhaltens- bzw. Problemmuster entstehen. Präventives Handeln wird dabei verstanden als eine Kooperation mit dem jungen Menschen, die dem Begleiter, der Begleiterin erlaubt, an der Stelle in den Lebenskontext einzutreten, indem die außergewöhnliche Situation oder das Problem auftritt.

Partizipative, integrative und subjektorientierte sozialpädagogische Helferkonzepte wollen demzufolge rechzeitig wirken, um gegen sich und andere gerichtete destruktive Handlungskonzepte bei jungen Menschen zu vermeiden, massiv einschneidende Lebenserfahrungen relativieren und in deren Mikro- und Makrosozialisationsinstanzen begleitend wirken und beraten.

Das bedeutet auch in den weiteren sozial-pädagogischen Bereichen, wie KiTa, Schule, Ausbildung, Agentur für Arbeit und in der Familie, als beratender Experte wirken zu müssen.

Wir denken hierbei an präventive integrative subjektorientierte Handlungskonzepte, die in Kooperation mit den Ämtern, des Jugendamtes (ASD und KiJuFö), der KiTa, der Schule, der Familie und des Umfeldes gemeinsam entwickelt werden.

Schlussbetrachtung

Unter den erschwerten Bedingungen im Zuge der Sozialgesetz- und Zuwanderungsreformen erscheint eine verbesserte, professionell und intensivere Beratung und Begleitung von jungen Menschen mit einschneidenden Lebenserfahrungen, in besonderen Lebens- bzw. mit Mehrfachbedarfslagen als äußerst notwendig. ganzheitlich gedacht sogar als Kosten sparend, da sich aufwendige Maßnahmen, Inhaftierungen bzw. Einweisungen vermeiden lassen.

Beratung und Begleitung müssen partizipativ, subjekt-, sozialraum- bzw. lebenswelt-, ziel-, lösungsorientiert, akzeptierend, freiwillig und emphatisch aufgebaut sein.

Vor allem jungen Eltern soll eine verstärkte Begleitung und Beratung offeriert werden, die vor Vernachlässigung des Nachwuchses schützen kann, vor allem im Bezug auf gesetzliche Änderungen bzgl. § 8a SGB VIII. Hierbei ist ein gezieltes, am jungen Menschen, dessen Erfahrung und Lebenswelt ausgerichtetes Networking notwendig. Die hier vorgeschlagene Netzwerkbildung bezieht das gesamte am jungen Menschen – dem „Kunden“ Sozialer Arbeit – ausgerichtete Erfahrungs-, Lebensumfeld bzw. System ein.

Falls dennoch intensive Beratungen, Begleitungen und Unterstützungen vom jungen Menschen gefordert werden, sollte diese Begleitung auch rechtzeitig und zeitintensiv geleistet werden können.

Wenn es um eine politisch gewollte sog. „Fallvermeidung“ gehen soll, dann geht es immer um Veränderung im weitesten Sinne. Dabei ist zwischen einer Veränderung des Individuums, einer Gruppe (meist Verhaltensveränderungen) oder gewisser Kontextbedingungen (z.B. Familie, KiTa, Schule, Sozialraum) zu unterscheiden. Es sollte eine praktizierte Methodenvielfalt und Beratung angeboten werden.

Es wird eine umfassende und ganzheitlich orientierte Begleitung für junge Menschen in besonderen Lebenslagen angeboten. Je nachdem welche Ziele für welche Adressaten erreicht werden sollen, werden in den Schnittstellen die jeweiligen methodischen Ansätze angewendet und verknüpft.

Erkenntnisse aus reformpädagogischen, subjektorientierten, akzeptierenden, lösungsorientierten und systemischen Ansätzen werden miteinander verknüpft.

vgl. Scherr 1997Dies kann deshalb jedoch nicht bedeuten, Hilfen zu vermeiden, sondern Hilfen rechtzeitig zu erkennen, um so eine frühe Vertrauenskooperation mit dem Adressaten bzw. dem Kunden zu erreichen. Randgruppen oder von Ausgrenzung bedrohte Menschen, vor allem junge Menschen in besonderen Lebenslagen werden in besonderer Art und Weise betreut und begleitet. Sie sollten einen besonderen Schutz und somit eine besondere Begleitung in einer demokratisch ausgerichteten Gemeinschaft genießen. Die Gesellschaft steht in lokaler Verantwortung für sog. gescheiterte, problematische, schwer erziehbare Jugendliche, eben jungen Menschen in besonderen Lebenslagen.

Dabei entsteht eine spezielle Form der intensiven, präventiven, aber partizipativen Arbeit mit einzelnen jungen Menschen bzw. Familien: die Jugendarbeit (§ 13 KJHG). Die Jugendarbeit in der Mobilen Jugendarbeit / Streetwork berät, begleitet und unterstützt niedrigschwellig. Sie hilft somit das als gesellschaftlich abweichend, als illegitim, illegal oder destruktiv wahrgenommene Handlungsstrategien und -konzepte darzustellen. Die Jugendarbeit versucht nach dem dialogischen Prinzip diese in legale und verantwortungsvolle Handlungen und Aktionen zu transformieren.

Dreh- und Angelpunkt Mobiler Jugendarbeit / Streetwork ist die Partizipation und die Wahrnehmung des Akteurs als Alltagsexperte seiner Lebensrealität. Es wird demzufolge an den Stärken und Fähigkeiten des jungen Menschen angesetzt und nicht primär dessen Defizite wahrgenommen.

In diesem Zusammenhang werden Menschen weder als „Fälle“ betrachtet, noch mit ihren Defiziten erfasst sondern als aktive Protagonisten ihrer Lebenswelt begriffen. An ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Kompetenzen, mit ihrer Beteiligung, mit ihrer Lust zum Lernen und auf Arbeit wird angesetzt. Es wird an den entwickelten Ressourcen angeknüpft.

In diesem Sinne bietet weiterhin eine personell gut ausgestattete Mobile Jugendarbeit/Streetworkdas beste Instrument eine optimale, qualitativ hochwertige, effiziente, integrierende, präventive und partizipative Jugendarbeit anzubieten. (gemäß §§ 11 und 13 SGB VIII)

Aus diesen Gründen gelten die Mobile Jugendarbeit/Streetwork, eine aktivierende und vermittelnde Pädagogik sowie die Ansätze der PädagogikPaulo Freires als zeitgemäße und moderne Formen schulischer und außerschulischer Bildungs- und Projektarbeit, die es weiter auszubauen und zu vermitteln gilt.

Literatur

Arbeitsgemeinschaft „Junge Menschen in besonderen Problemlagen – Leben auf der Straße“: Praxisbericht 1997-1999. Dresden 1999

Becker, Gerd / Simon, Titus (Hrsg.): Handbuch aufsuchende Jugend- und Sozialarbeit : theoretische Grundlagen, Arbeitsfelder, Praxishilfen. Juventa, Weinheim u. München 1965

Freinet, Elise: Erziehung ohne Zwang: Der Weg Célestin Freinets. Dt. Taschenbuch Verlag GmbH, München, 4. Auflage 1991

Freire, Paulo: Pädagogik der Unterdrückten: Bildung als Praxis der Freiheit. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1991

von Dücker, Uwe: Straßenschule – Straßenkinder in Lateinamerika und Deutschland ein interkultureller Vergleich aus sozial- und entwicklungspolitischer und methodisch-konzeptioneller Sicht. IKO – Verlag für interkulturelle Kommunikation, Frankfurt/M. 1998 

DJI (Deutsches Jugendinstitut e.V.) 1995: „Straßenkinder“: Annäherungen an ein soziales Phänomen – Projektgruppe: „Straßenkarrieren von Kindern und Jugendlichen“. DJI-Materialien München/ Leipzig, Oktober 1995

FAGASS, Fachgruppe Aufsuchende Sozialarbeit / Streetwork des Fachverbandes Sucht. Bern, Juni 2005

Gillich, Stefan (Hrsg): Streetwork/ Mobile Jugendarbeit: Aktuelle Bestandsaufnahme und Positionen eigenständiger Arbeitsfelder.: Triga Verlag,  Gelenhausen  2003

Gillich, Stefan (Hrsg.): Profile von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit: Antworten der Praxis auf neue Herausforderungen.. Triga Verlag, Gelenhausen 2004

Gillich, Stefan (Hrsg.): Professionelles Handeln auf der Straße. Praxisbuch Streetwork und Mobile Jugendarbeit. Triga Verlag Gelenhausen 2006

ISA (Institut für soziale Arbeit e.V.): Lebensort Straße: Kinder und Jugendliche in besonderen Problemlagen. Münster: Votum-Verlag, Münster 1996

Kiebel, Hannes: Referat bei BAG 20. bundesweites StreetworkerInnen-Treffen, 20.-24.06. 2005, „Blick zurück und nach vorne: 20 Jahre Professionalisierung von Streetwork und Mobiler Jugendarbeit“ und „Erzählcafé“

Kiebel, Hannes: Blick zurück und nach vorn, S. 202-227 in: Gillich 2006

Krafeld, Franz-Joseph: „Hartz und die Folgen für die Biographien von Jugendlichen“. – Referat in Fachtagung: Hartz IV und die Folgen für die Biographien Jugendlicher. LAK & SOJA. v. 29. November 2005.

LAK (Landesarbeitskreis) Mobile Jugendarbeit Sachsen e.V. http://www.sachsen.streetwork.org

Lutz, Roland (Hrsg): Befreiende Sozialarbeit: Skizzen einer Vision. Paulo Freire Verlag, Oldenburg 2005

Lutz, Roland: Vortrag zur Fachtagung 21. Bundesweites StreetworkerInnen-Treffen: „Steetwork konkret: Standards und Qualitätsentwicklung“. – Leitung Stefan Gillich, Burkhardt Haus, Ev. Institut für Jugend-, Kultur- und Sozialarbeit e.V.; Gelenhausen 2006

Rotthaus, Wilhelm: Wozu erziehen? Entwurf einer systemischen Erziehung. Carl-Auer-Verlag, Heidelberg 2004

Scherr, Albert: Subjektorientierte Jugendarbeit: Eine Einführung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpädagogik. Juventa, Weinheim und München 1997

Steffan, Werner (Hrsg.): Straßensozialarbeit : eine Methode für heiße Praxisfelder. Beltz, Weinheim u. Basel 1989

Sächsisches Landesamt für Familie und Soziales: Orientierungshilfe zur Mobilen Jugendarbeit in Sachsen. – Chemnitz, Mai 2002

Thiersch, Hans: Referat an der TU Dresden, 10. Regionaler Jugendhilfe-Fachtag, „Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene als aktiv Handelnde im Alltag“, 08.07.2005

Wolfer Dieter:Ein Leben mit Kindern der Straße: Vermittelnde Pädagogik – Ein Vergleich von Ursachen und Hintergründen im Zusammenhang mit Erfahrungen aus der Wohngruppe Jardín del Edén, Ecuador." Paulo Freire Verlag, Oldenburg 2005 (a)

Wolfer, Dieter: Der (sozial-)pädagogische Auftrag in Profession und Disziplin“, in: Dialogische Erziehung: Informationen zur Paulo Freire Pädagogik, Nr. 1-2/  2005 (b)

Wolfer, Dieter: Zusammenhalt und Zuversicht in Profession und Disziplin Sozialer Arbeit: Projekte, Methoden und Ansätze der Sozialen Arbeit auf dem Prüfstand, in: Dialogische Erziehung: Informationen zur Paulo Freire Pädagogik, Jg. 9, Nr. 3-4, 2005 (c)

Wolfer, Dieter: Die ‚Reformpädagogik’ und die ‚Reformen’ im sozialen System: Die Herausforderungen an die Vermittelnde Pädagogik im Zuge veränderter (Hartz-)Gesetzgebung, in: Dialogische Erziehung: Informationen zur Paulo Freire Pädagogik, Jg. 9, Nr. 3-4, 2005 (d)

Wolfer, Dieter 2006: Profession und Disziplin, in: Gillich2006,S. 120-137.

Vielen Dank an meinen Kollegen Hardy Heutger für die Bearbeitung, die systemischen Anregungen und die vielen konstruktiven Diskussionen.

Vielen Dank an Wanda Neumann für die kreative Zeichnung.

Dieter Wolfer

Treberhilfe Dresden e.V.

Fritz-Reuter-Str. 6, 01097 Dresden

E-Mail: info@treberhilfe-dresden.de  www.treberhilfe-dresden.de


[1]vgl. Scherr 1997: Literaturempfehlung zur subjektorientierten bzw. emanzipatorischer Jugendarbeit/ -pädagogik

[2]In Dresden wird ein Wirkungszielkatalog für die Jugendarbeit entwickelt.

[3]Kinder und Jugendschutzgesetz, SGB VIII

[4]Manfred Liebel in einem Brief an den Verfasser

[5]Wer könnte das sein, etwa Eltern, das Jugendamt, der Allgemeine Soziale Dienst (ASD), die Kinder und Jugendförderung (KiJuFö) oder gar politische Institutionen wie z.B. Stadträte oder der Jugendhilfeausschuss?