Menschliche Entwicklung

Autonomie und Selbstachtung

von Ronald Lutz

Vorbemerkung

Aufgabe staatlich-gesellschaftlicher Ordnungen ist es, ihren Mitgliedern ein „gedeihliches Leben“ zu ermöglichen[1]. Dies kann allerdings nur auf der Basis von Rahmungen geschehen,  die der zutiefst menschlichen Hoffnung nach einem „gelingenderen Alltag“[2] vielfältige Räume öffnen. Notwendig werden darin Vorstellungen vom Menschen, die eine „Grundlage der praktischen Ethik“ liefern[3] und somit eine Idee Menschlicher Entwicklung umfassen.

Dieses Bild kann allerdings nur kulturell entworfen sein, da der Mensch sich nur aus sich selbst heraus begreifen und verstehen kann; somit setzt und entfaltet er seine Ziele und seine Ethik auch selbst. Das fordert immer wieder die ungeheuerliche Aufgabe das Wichtige und das Unverzichtbare des Daseins zu benennen; d.h. in aller Bescheidenheit eine Theorie des „guten Lebens“ zu konstituieren, zu entwickeln und auch zu verteidigen.

Krisen, die als „Erschütterungen eines Gleichgewichtes bzw. Wendepunkte, also dramatische Zuspitzungen eines Geschehens, in denen sich die weitere Entwicklung zum Guten oder Schlechten hin ergibt“[4], zu verstehen sind aktualisieren nun die großen Anliegen der praktischen Ethik, die ein Produkt menschlichen Schaffens sind und somit als Antworten verfügbar bleiben sind. Dies sind Konzepte wie:

  • Menschenrechte,
  • Soziale Gerechtigkeit,
  • Balance zwischen friedlicher Kooperation und individueller Selbstbehauptung,
  • Synchronisierung von individuellem Verhalten und kollektivem Wohl[5]

In Krisen gilt es sich des Erreichten zu vergewissern, um aus den darin liegenden Visionen Hoffnung und Würde für den Kontext Menschlicher Entwicklung neu zu schöpfen. Dies will ich in neun Schritten skizzieren.

These 1: Die erschöpfte Moderne

Drei Tendenzen sind es derzeit, die Menschlicher Entwicklung als einer Zunahme an Verwirklichungschancen und damit einer kulturellen Einlösung der Visionen der Aufklärung, als der Menschwerdung des Menschen, als seinem Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit, entgegen stehen und krisenhafte Tendenzen auslösen:

  • Armut und Ausgrenzung;
  • Fundamentalismus und Fanatismus;
  • Despotie, Folter, Gewalt und Krieg.

Die letzteren sind dabei mitunter bloß eine Funktion weltweit beobachtbarer Armut.

Zugleich wird von drei grundlegend ethischen Überzeugungen und Errungenschaften menschlichen Denkens und menschlicher Praxis immer mehr Abstand genommen:

  • der Gleichheit der Menschen als Grundlage der Gerechtigkeit;
  • der Menschlichen Entwicklung als einem offenem Prozess, der Optionen für Alle umfasst;
  • der Idee eines kulturellen und diskursiven Aushandelns von Ethik und Moral, die u.a. auch Konflikte friedlich zu regulieren vermag.

Die scheinbar „erschöpfte Moderne“ bedroht damit aber den Zusammenhang des Menschlichen; die Aufklärung als grundlegendes Konzept schlägt möglicherweise erneut in ihr Gegenteil, in Barbarei, um: Der Pfeil der Zeit scheint zumindest zerbrochen; „er hat keine Flugbahn mehr in einer sich ständig umstrukturierenden, routinelosen, kurzfristigen Ökonomie“[6].

Politische Interessen und der „Terror der Ökonomie“[7] sind offenkundig dabei Versprechungen der Moderne in die Knie zu zwingen. Darin wird zudem ein neues, segmentierendes Menschenbild sichtbar: Nicht Gleichheit, Anerkennung des Anderen und Solidarität sind essentiell, sondern die Entgegensetzungen von Leistungsfähigkeit und Schwäche, von Erfolg und Misserfolg, von westlicher Aufklärung und fernöstlichem Mittelalter, von kapitalistischem Individualismus und despotischem Gemeinwesen.

Das aber bedeutet in seiner Evidenz Ausgrenzung bzw. prinzipielle Schlechterstellung der Anderen, der Fremden, der Schwachen, die angeblich zu nichts fähig seien oder nichts leisten, die nicht zu unserer christlichen Kultur gehören. Es bedeutet allerdings, und das ist wohl der eigentliche Zweck, immense Optionssteigerungen für eine fragwürdige Elite, die sich aus einer selbst definierten Leistungsfähigkeit definiert.

Die erschöpfte Moderne „entbettet“ zudem den Menschen[8], indem sie seine seitherige Integration auf einer Ebene des sozialen und kulturellen Lebens und auf einer Ebene der Sicherheit, des Sinns, der Erwartbarkeit und der Entlastungen immer stärker erodiert und ihn sich selber überlässt. Trotz größer werdender Optionen, die sich als Freiheiten jenseits enger Horizonte formen, bedeutet dies eine Herauslösung und Vereinzelung des Subjekts aus gegebenem Sinn und das Leben erleichternder Kultur. Manager seines Selbst zu sein klingt zwar heroisch ist aber eine Bedingung, die Ressourcen erforderlich macht, die eben nicht gleich verteilt sind. So findet sich kaum noch ein Ort, an dem die Person in ihrer Integrität wachsen kann, an dem sie zur Ruhe kommt. Der Mensch scheint sich in Parzellen, in Modulen, aufzulösen. Damit aber schwindet auch die verbindliche Idee des Guten, die menschlichem Leben eigentlich zugrunde liegen sollte.

Angesichts dieser Tendenzen kann es von großem Gewinn sein sich der aristotelischen Vorstellung eines „Guten Lebens“ zu vergewissern, wie es im Werk von Martha Nussbaum abgehandelt wird. Hieraus lässt sich erneut die These Menschlicher Entwicklung verdichten, die schließlich zum Projekt einer offenen Gesellschaft führt. Am Ausgangspunkt dieser Überlegungen steht allerdings notwendigerweise ein Bild des Menschen und der ethische Wert dauerhafter Anerkennung durch Andere[9].

These 2: Ein dynamisches Menschenbild

Ein dynamisches Menschenbild basiert nicht auf einer metaphysischen oder mythischen Biologie, es ist auch nicht Resultat kosmologischer oder religiöser Überzeugungen; es ruht vielmehr auf realen Geschichten und Erfahrungen aus unterschiedlichen Zeiten und Orten, die sich zu einer Erzählung verdichten, mit der man Freunden aber auch Fremden erklären kann, was es denn bedeutet ein Mensch zu sein[10]. Dies kann nur ein dynamisches Bild des Menschen sein, das dieser unaufhörlich von sich selbst entwirft und sich als entwicklungsoffen, kulturschöpferisch und dialogfähig beschreibt.

Es ist sein Streben, das den Menschen prägt: die Bewältigung von Sorge und Leid, die Suche nach einer Ausweitung der Optionen, die Bewältigung von Konflikten, das Streben nach einem gelingenderen Alltag. Noch die prekärste und düsterste Situation hat in sich immer einen Funken Hoffnung, wenn man den Menschen als offen für Entwicklungen begreift. Diese Offenheit menschlichen Denkens und menschlicher Praxis und damit die Veränderbarkeit der Welt und des Menschen durch die Praxis der Menschen sind das entscheidend Menschliche, das Entwicklung erst ermöglicht. Die grundlegenden Fähigkeiten, um diese Offenheit immer wieder herzustellen, sind Schöpferkraft und Dialogfähigkeit.

Das Wesen des Menschen ist originär von seiner Fähigkeit geprägt, auf die eigene Umwelt, die eigene Kultur, als Geschöpf und als Schöpfer einzuwirken. Nicht einzig Opfer seiner Verhältnisse ist deshalb der Mensch sondern auch deren Gestalter: „Kulturfähigkeit ist die Kompetenz zur Gestaltung und kulturelles Handelns ist ein gestaltgebendes“[11]. Das Gesicht dieser Welt trägt damit aber die Züge des Menschen, seine Kultur ist nur von ihm gemacht und somit wandelbar. Das lässt sich in die These des kulturschaffenden Wesens gießen: „Kultur stellt (...) das nur menschliche Mittel der Umweltbewältigung dar. Kultur, wie auch immer wir sie definieren, ist vom Menschen Geschaffenes, ist Produktion, schöpferisches Tun, durch das der Mensch sich aus seiner Abhängigkeit von der äußeren und inneren Natur zu befreien vermag.“[12]

Paulo Freiregab dieser Anthropologie, die auf der Entwicklungsoffenheit des Menschen und seiner Gestaltungsfähigkeit ruht, mit seinem radikal positiven Menschenbild noch einen weiteren Aspekt[13]. Seine Philosophie und seine Anthropologie betonten das Wort: Es gibt kein wirkliches Wort, das nicht zugleich Praxis ist, so kann ein jedes Wort, das den Dialog nicht abbricht sondern weiterführt, die Welt verändern[14]. Freire setzte auf den Dialog, der auf das Verstehen und nicht auf die Beeinflussung des Gegenübers zielte[15]. Das aber postuliert die prinzipielle Dialogfähigkeit des Menschen.

These 3: Achtung als moralischer Kern der Anerkennung

Ein dynamisches Menschenbild, das eigentlich modernem Denken immanent sein sollte, zeichnet den Menschen als entwicklungsoffen, kulturschöpferisch und dialogfähig. Um dieses Menschenbild in der Praxis zu leben, um menschliche Identität und Integrität in Beziehungen als durchgängigen Entwurf stabil zu halten, ist die Anerkennung des Einzelnen durch eine soziale und kulturelle Umwelt zwingend erforderlich. Axel Honneth hat die Ebenen dieser Anerkennung prinzipiell herausgearbeitet; Anerkennung durch die Anderen ruht:

  • auf emotionaler Achtung – der Liebe
  • auf rechtlicher Anerkennung sich selbst und anderen gegenüber
  • und auf wechselseitiger Anerkennung zwischen soziokulturell unterschiedlich individuierten Personen – der Solidarität[16]

Doch was verbirgt sich hinter diesem Konzept, was heißt es Anerkennung sei erforderlich um Identität als einen durchgängigen Entwurf stabil zu halten?

  • Honneth sprach von einer emotionalen Achtung;
  • Freire formulierte dies als Achtung gegenüber den Leistungen und den Fähigkeiten der Menschen, die er mit Demut, Toleranz, Glaube und Liebe umschrieb;
  • Sennet sprach kürzlich vom Respekt, den wir anderen gegenüber entwickeln müssen, um sie Ernst zu nehmen;
  • Achtung gegenüber den Bedürfnissen der Menschen, die einem nicht gleichgestellt sind, definierte John Rawls als Anerkennung;
  • Habermas erweiterte diese Konzeption auf die Achtung abweichender Meinungen, die anderen Interessen entspringen[17].

Mit dem kantischen Begriff der Achtung kommen wir offenkundig dem moralischen Kern dessen, was Anerkennung ist, nahe: Achtung gegenüber einem Anderen ist die Vorstellung von einem Werte, „der meiner Selbstliebe Abbruch tut“[18]. Wer einen Menschen achtet, der räumt diesem einen Platz ein, der nicht nur die Quelle legitimer Ansprüche darstellt, sondern auch die eigene Position relativiert, sich in eigenen, egoistischen Perspektiven und Ansprüchen zurück nimmt. Das anerkennende Subjekt ist zukünftig bereit, dem geachteten Menschen moralische Autorität zu verleihen und es gemäß seinem Wert zu behandeln[19]. Anerkennung der Anderen wird über das Erkennen hinaus zu einem expressiven Akt, der vom Gegenüber als solcher verstanden wird. Es wird eine positive Bedeutung der Befürwortung zum Ausdruck gebracht, in der deutlich wird, dass die andere Person „Geltung“ besitzen soll[20].

Achtung als moralischer Kern der Anerkennung drückt somit Demut gegenüber dem Anderen aus und zeigt diesem, dass er als gleichwertig akzeptiert wird, trotz anderer Interessen und Positionen, trotz anderer kultureller Kontexte. Durch diese Anerkennung weiß der Andere sich in elementarer Form sozial anerkannt[21].

These 4: Theorie des Guten Lebens

Eine Theorie des Guten Lebens, die auf Aristoteles ruht und von Martha Nussbaum für die Moderne angemahnt wurde, entwirft sich als eine ethisch begründete visionäre Anthropologie der Hoffnung; sie umfasst zwar menschliche Ziele in allen Lebensbereichen; sie gibt aber lediglich einen Umriss und lässt somit viele Spezifikationen zu[22].

Diese Theorie muss „breit“ angelegt sein, sie muss folglich für Alle und nicht nur für eine Elite gelten. Sie muss zudem „tief“ sein und nicht nur Güter wie Geld, Grund und Boden oder Chancen und Ämter umfassen; es muss ihr um die Totalität der Fähigkeiten und Tätigkeiten gehen, die ein gutes Leben ausmachen und befördern. Darin setzt sie auf die konstitutiven Bedingungen menschlichen Lebens, auf öffentliche Güter und Fähigkeiten des Menschen, ohne die ein zu viel an Defiziten aufbrechen würde. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind dies[23]:

  • ein volles Menschenleben bis zum Ende zu führen;
  • eine gute Gesundheit, eine angemessene Ernährung, eine angemessene Unterkunft, Möglichkeiten der Sexualität, Möglichkeiten der Mobilität;
  • die Vermeidung unnötiger Schmerzen;
  • die Bindungen zu Dingen und Personen;
  • Vorstellungen vom Guten;
  • die Verbundenheit mit anderen Menschen, familiäre und soziale  Beziehungen;
  • die Verbundenheit mit der Natur;
  • lachen, spielen und Freude haben;
  • kognitive Fähigkeiten wie wahrnehmen, vorstellen, denken;
  • die Fähigkeit zur praktischen Vernunft.

„Insgesamt“, so Martha Nussbaum, „lässt sich sagen, dass die Menschen sich als Wesen erkennen, die die Möglichkeit haben möchten, für sich zu sein, die einen kleinen Raum haben möchten, in dem sie sich bewegen können, und die einige Dinge haben möchten, die sie gebrauchen, behalten und lieben können“[24]

Der gute Staat bzw. die gute Gesellschaft als der Garant menschlichen Lebens muss sicherstellen, dass Menschen entsprechend ihrer Fähigkeiten leben und handeln können. Dies kann nur durch eine präventive Strategie geschehen, die nicht wartet, bis es den Menschen schlecht geht. Stattdessen befördert der „gute Saat, die gute Gesellschaft“, Güter, die allen Bürgern ein ganzes Leben lang eine gute Lebensführung ermöglicht. Hierzu zählen

  • eine humanistische Erziehung,
  • Bildung,
  • Gesundheit,
  • Arbeit,
  • Sicherheit für Leben und Besitz
  • aber auch gesunde Luft und gesundes Wasser,
  • ausreichende Ernährung und Unterkunft,
  • Schutz vor tätlichen Angriffen,
  • Schutz der Künste und der Wissenschaften,
  • Gewährleistung von Entscheidungsfreiheit,
  • Erholungsmöglichkeiten, Schutz einer unantastbaren Sphäre[25].

Das Gute Leben ist in seiner Umsetzung und Praxis, und darauf hat Nussbaum mit der „Vorläufigkeit“ ihrer Liste und dem Umriss, den sie lediglich geben wollte, bereits hingewiesen, ein „offener Prozess“, den wir aber auch als „Menschliche Entwicklung“ verstehen können, die erst jenen Raum öffnet, in dem die Fähigkeiten der Menschen zu sich selbst kommen.

These 5: Menschliche Entwicklung als Prozess

Entwicklung versteht Amartya Sen als einen Prozess der Beseitigung verschiedener Arten von Unfreiheit, „die den Menschen nur wenig Entscheidungsspielraum und wenig Gelegenheit lassen, wohldurchdachten Gründen gemäß zu handeln“; die Beseitigung gewichtiger Unfreiheiten sei deshalb eine grundlegende Voraussetzung für Entwicklung[26]. Yunus spricht sogar von einer konkreten Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der ärmsten Bevölkerung in einem eigentlich reichen Land[27].

Die Vereinten Nationen veröffentlichen dementsprechend seit Anfang der 90er Jahre Berichte zur Menschlichen Entwicklung[28]. Diese wird darin als Prozess begriffen, der die Wahlmöglichkeiten der Subjekte erweitert. Das aber ist nur durch eine Ausweitung der Lebens- und Entwicklungschancen erreichbar, die sich bspw. an einer Verbesserung der Bildungschancen Aller, an einer stärkeren Geschlechtergleichheit und an weniger Armut festmachen lassen.

Menschliche Entwicklung wird damit zu einem universellen Wert, vielleicht sogar zu einer „Globalen Ethik“, die auf der Konzeption der Menschenrechte ruht und als Prozess des Wachsens und Gestaltens zu definieren ist. Dieser Prozess soll eine Zunahme von Entscheidungsmöglichkeiten befördern, die für menschliches Leben und menschliches Werden unabdingbar sind. Hierzu gehören politische, ökonomische, soziale und kulturelle Chancen, durch die Türen zu Kreativität und Produktivität geöffnet werden können. Menschliche Entwicklung als Handlungsmodell formuliert so vier Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit Menschen sich entwickeln können, ohne zugleich andere in ihren Entwicklungschancen einzuschränken - denn die Freiheit der einen darf nicht die Unfreiheit der Anderen bedingen:

  • Produktivität: Menschen müssen die Möglichkeit haben, ihre Produktivität zu erhöhen, Einkommen zu erzielen und eine bezahlte Beschäftigung auszuüben.
  • Gleichberechtigung: Menschen müssen einen gleichen Zugang zu Chancen haben; deshalb müssen auftretende Hindernisse für politische und ökonomische Chancen beseitigt werden.
  • Nachhaltigkeit: Der Zugang zu Chancen kann und darf nicht nur für die heutige Generation gelten, er muss auch für weitere Generationen gesichert sein.
  • Ermächtigung: Entwicklung kann letztlich nicht für die Menschen verwirklicht werden, sondern ausschließlich nur durch sie; sie müssen voll und ganz den Prozess selbst gestalten und notwendige Entscheidungen wesentlich selbst treffen.

Menschliche Entwicklung ist unter diesen Voraussetzungen von der freien Entfaltung menschlicher Kulturfähigkeit geprägt, ihr Weg und ihr Ziel sind dabei offen. Dies impliziert zugleich die Entfaltung menschlicher Kompetenzen wie Selbstachtung, Handlungsfähigkeit und das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, die Anerkennung durch Andere und Identität vermittelt. Das Mehr an Optionen, das entstehen soll und als ein Mehr an Verwirklichungschancen zu werten ist, soll zudem für Alle und nicht nur für eine fragwürdige Elite umgesetzt werden.

These 6: Gesellschaftliche Ordnung als offenes Projekt

Menschliche Entwicklung kann prinzipiell nur ein offener Prozess sein, der von Menschen getragen auf deren Fähigkeiten aufsetzt. Die reformulierte und ethisch begründete Wendung zum Menschen und dessen Entwicklung bedarf so aber einer anderen Vorstellung von Normalität als sie allgemein gültig zu sein scheint. Historisch ist normal nämlich das Wort zur Homogenisierung und Vereinheitlichung von Arbeits-, Verhaltens-, Bildungs- und Ge-sundheitsstandards; Normalität regelt Zugehörigkeit und Abweichung[29]. Die Techniken der Normalisierung sind dabei Disziplin, Drohung, Strafe und Ausschluss. Wird Normalisierung historisch zunächst noch durch äußere Institutionen und Sanktionen durchgesetzt verlagert sie sich allmählich in die Selbstkontrolle des Subjekts[30].

Diese „Normalität“ ist als menschliches Produkt allerdings kultur- und zeitspezifisch. Es kann eigentlich keine festgelegten und allgemein gültigen Standards des „Normalen“ geben. Da die Menschen sehr wohl Gestalter ihrer eigenen Geschichte sind, geschieht dies immer jenseits einer absolut gesetzten „Normalität“. Sie müssen so zu ihrer je „eigenen Normalität“ finden, zu ihren kulturell entworfenen Mustern des Sozialen, die Erwartbarkeit und Kommunikation sicherstellen; sie müssen sich dabei aber ihrer je eigenen Fähigkeiten, diese selbst zu gestalten, bewusster werden.

Die Chancen Menschlicher Entwicklung steigen dann, wenn sie nicht mehr durch scheinbar generell gültige Normalisierungsstandards eingeengt werden, die allzu oft auf Machtstrukturen ruhen, sondern von den Menschen und deren Sorgen ausgehend als Suche nach Optionen und einem gelingenderen Alltag ermöglicht werden. Letztlich geht es um die Implementierung eines zentralen Topos von Paulo Freires Philosophie ins Leben der Menschen: Es wäre ein schreiender Widerspruch, wenn sich das menschliche Wesen, das sich in unfertigem Zustand befindet und sich dessen bewusst ist, nicht in einen permanenten Prozess hoffnungsvoller Suche einbrächte.

Suchprozesse sind aber prinzipiell offen, normativ entworfene Realitäten als unhintergehbare Grenzen engen sie hingegen ein. Es geht folglich darum Zukunft neu zu denken und Gesellschaft als ein offenes Projekt zu entwerfen.

These 7: Verwirklichungschancen und Fähigkeitenraum

Dieser Vorstellung menschlicher Entwicklung, die eine Steigerung der Verwirklichungschancen aller und eine prinzipielle Offenheit des Prozesses postuliert, folgt konsequent die von Amartya Sen vorgelegte Konzeption des „Fähigkeiten-raumes“, den es politisch zu entwerfen gilt. Dieser Raum, dessen Gestaltung eine staatlich-gesellschaftliche Aufgabe darstellt, setzt Rahmungen ohne normierend zu wirken. Er soll es Menschen ermöglichen ihren Fähigkeiten gemäß ein alltägliches Leben zu verwirklichen, das ihnen als ein gutes Leben erscheint.

Das Konzept der Entwicklung fordert in weiten Teilen der Welt die Hauptursachen von Unfreiheit zu beseitigen: „Armut wie auch Despotismus, fehlende wirtschaftliche Chancen wie auch systematischen sozialen Notstand, die Vernachlässigung öffentlicher Einrichtungen wie auch die Intoleranz oder die erstickende Kontrolle seitens autoritärer Staaten“[31]. Somit wird Entwicklung zu einem Prozess, „in dem die menschlichen Freiheiten erweitert werden“[32]; Entwicklung heisst deshalb, sich auf die Möglichkeiten der Freiheit einzulassen[33].

Zu diesen Freiheiten zählen nicht nur die Vorstellungen eines Guten Lebens sondern auch die öffentlichen, die staatlichen Verfahren, instrumentelle Freiheiten, die Handlungs- und Entscheidungsoptionen für Menschen angesichts ihrer persönlichen und sozialen Umstände erst ermöglichen. Good Governance meint und fordert deshalb sowohl einen verantwortungsvollen Umgang mit politischer Macht und öffentlichen Ressourcen als auch das Zusammenwirken von Akteuren aus den unterschiedlichsten Sektoren für die Schaffung entwicklungsförderlicher Rahmenbedingungen und einer effizienten und effektiven Leistungserstellung öffentlicher Güter und Dienstleistungen zu ermöglichen und zu steigern[34]. Somit wird Good Governance aber eine wichtige Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, für die Bekämpfung von Armut und für die Ermächtigung (empowerment) der Subjekte, um ihren Fähigkeiten gemäß ein gutes Leben zu führen. Sen skizziert deren Rahmen mit:

  • politischen Freiheiten;
  • ökonomischen Freiheiten;
  • sozialen Chancen und Partizipationschancen;
  • Transparenzgarantien; d.i. die Anerkennung durch Andere und die Offenheit füreinander;
  • sozialen Sicherheiten[35].

Dies erst gibt den „Verwirklichungschancen“ und den Fähigkeiten  der Menschen  einen notwendigen Rahmen, in dem Freiheit entwickelt und zum Ausdruck kommen kann; nämlich die substantielle Freiheit, „alternative Kombinationen von Funktionen zu verwirklichen“, eben unterschiedliche Lebensstile zu realisieren[36]. Sen wird nicht müde, die Bedeutung der Freiheit zu betonen: Mehr Freiheit stärke die Fähigkeit der Menschern, sich selbst zu helfen und auf die Welt einzuwirken[37].

Hiermit wird die Freiheit der Menschen radikal ins Zentrum gerückt, ein erstrebenswertes Leben zu führen und reale Entscheidungsmöglichkeiten und vorhandene Fähigkeiten auszuweiten bzw. umsetzen zu können. Der Staat soll lediglich Hilfestellungen geben, Räume verfügbar machen, in denen Freiheiten möglich sind; er soll keine Fertiglösungen anbieten, die wiederum menschliche Gestaltungsfähigkeit und Kreativität erschlagen können. Der Erfolg einer Gesellschaft ist dann davon abhängig, „wie groß die von ihren Mitgliedern genossenen substantiellen Freiheiten sind“[38]. Insofern ist Menschliche Entwicklung die Erweiterung und Steigerung der „Verwirklichungschancen“ durch die  notwendige Ausgestaltung und Ausweitung eines „Fähigkeitenraumes“, der individuellen Potentialen und Möglichkeiten Patz gibt, das Leben zu führen, das man schätzt – und zwar mit guten Gründen.

These 8: Zugänge zum Markt und Bürgerbeteiligung

Almosen („Sozialhilfe“ im weiten Sinn) können vor diesem Hintergrund leicht zum „Synonym für Demütigung“ werden. Durch sie werden Menschen mitunter zu bloßen Zuschauern ihrer eigenen Bedürfnisse, zu Konsumenten der ihnen gewährten Hilfe[39]. Sie erleben darin sogar einen Mangel an Respekt, an Achtung, indem sie letztlich nicht als vollwertige Menschen wahrgenommen werden, sondern als schwach und voller Fehlern, außerhalb der Ordnung stehend (asozial), ja mitunter als „Kinder des Südens oder Ostens“, die von „reifen Erwachsenen des Nordens“ noch Unterstützung benötigen. Manche fühlen sich sogar dazu berufen, ihnen die Demokratie schenken zu müssen, indem sie ihnen vorher ein paar Bomben auf den Kopf werfen.

Hilfe dient leider allzu oft sogar nur dem ruhigen Gewissen des Helfenden. Durch das Geben will man ein „guter Mensch“ werden, man bekämpft damit die eigene Neigung zur Sünde. „Der Wert der Gabe ist gleichgültig, und für manche ist es sogar gleichgültig, ob die Gabe anderen von Nutzen ist“ schreibt Sennet[40] und erinnert an das Konzept der Anerkennung der Anderen, dessen moralischer Kern die Achtung darstellt. Diese, die auch als Respekt begriffen werden kann, fordert hingegen Zurückhaltung, eine Reduktion der „Selbstliebe“, um Menschen wirklich dadurch zu helfen, dass man ihren Fähigkeiten, ihren Kompetenzen, Raum gibt, sie darin ermuntert, sie „ermächtigt“ und sie nicht an ihren Defiziten misst. Ich erinnere nur: Menschen sind von Grund auf keine passiven Empfänger von Wohltaten, sie sind aktive, nach Veränderung strebende und diese auch bewirkende Subjekte - man muss ihnen nur den Raum dafür lassen.

Um das Bisherige zu verdeutlichen soll es an zwei Beispielen illustriert werden.

Reichtum von unten

Nicht Spenden, sondern Investitionen, nicht milde Gaben, sondern Initiativen, aus denen sich „nachhaltige Ökonomien von unten“ entwickeln sind als Menschliche Entwicklung zu begreifen[41]. Ein solcher Versuch wurde von einem Ökonomieprofessor in Bangladesh gestartet. Muhammad Yunus gründete vor Jahren die Grameen-Bank, die kleine Kredite an Bauern, überwiegend Frauen, vergab, und die bei niedrigen Zinsen in kleinen wöchentlichen Raten, auf ein Jahr gestreckt, zurück bezahlt werden konnten[42].

Seine These war, dass es den Armen nicht an Fähigkeiten fehle sondern lediglich am Zugang zu Krediten. Die Kreditnehmer mussten so eine Geschäftsidee haben, beispielsweise eine zweite Ziege kaufen um Ziegenkäse für den Verkauf produzieren zu können, und sich in Gruppen organisieren, die sich gegenseitig unterstützten. Die einzigen Sicherheiten, die verlangt wurden, waren eben diese Idee, Selbstdisziplin, Mut und der Wille an der Idee zu arbeiten. Nach einem ersten zurück bezahlten Kredit war ein neuer in höherem Umfang möglich, der eine weitere Ziege finanzieren konnte, um die Produktion zu steigern. Dahinter verbirgt sich eine immense Achtung gegenüber den Fähigkeiten der Menschen.

Der Erfolg ist bis heute umwerfend; die Rückzahlungsquoten liegen nahe bei 100%. Das System ist mittlerweile ein weltweites Erfolgsmodell und wurde auch von der Kreditanstalt für Wiederaufbau als Kleinkreditsystem kopiert. Die Erfahrungen zeigen dabei, dass Arme durch den Zugriff auf Kapital, so niedrig der Kredit auch sein mag, „in die Lage versetzt wurden, ihr Leben in unglaublicher Weise zu verändern“[43].

Yunusfasst die Philosophie seines Modells etwas provokant zusammen: „Ich bin fest davon überzeugt, dass die Zahlung von Almosen nicht zu einer Lösung des Problems beiträgt, sondert die Schwierigkeiten der Armen nur zementiert und sie in ihrem Elend festhält. Die arbeitsfähigen Armen wollen keine Almosen und haben sie auch nicht nötig. Die soziale Wohlfahrt erhöht nur ihren Jammer, denn sie beraubt sie ihres Unternehmungsgeistes und ihrer Würde.“[44]

Günter Faltinund Jürgen Zimmer fordern vor diesem Hintergrund dazu auf, die Soziale Frage in der Moderne neu zu stellen. Mit Entwicklungshilfe sei sie nicht zu beantworten, denn diese diene oft nur dem Zweck die Privilegien des Nordens nachhaltig zu sichern. Stattdessen müssten die Menschen ermächtigt werden ihre Fähigkeiten umzusetzen und damit zu wirklichen Konkurrenten der Reichen zu werden; nicht der Aufstand der Arbeiter, der die erste soziale Frage lösen wollte, liegt als Kopie für den Aufstand der Armen an, sondern die Förderung der Fähigkeit unternehmerisch tätig zu sein.

 „Dies“, so Faltin undZimmer, „wäre die wichtigste aller möglichen Entwicklungshilfe, die Öffnung des Marktes für die konkurrenzfähigen Unternehmer des Südens“[45]. Letztlich ist damit die Antwort auf die neue soziale Frage nicht durch das Sammeln von Spenden lösbar, den Armen wird vielmehr nur dann effektiv geholfen, wenn sie selbst eine Ökonomie von unten entwickeln und Zugang zum Markt haben. Das aber fordert von uns zu begreifen, dass unser Reichtum kein dauerhafter sein kann.

Soziale Stadt

Arme leben nun nicht nur außerhalb unseres Gesichtskreises, dass es auch Armut und Benachteiligung bei uns gibt ist mittlerweile ein Gemeinplatz und muss nicht weiter erläutert werden. Die soziale Frage stellt sich auch hier neu und verlangt zunehmend nach Lösungen, die jenseits traditioneller Transfersysteme wie der Sozialhilfe liegen - zumal diese Systeme stark umgebaut und reduziert werden.

Allerdings wären deutsche Sozialhilfeempfänger zunächst einmal entsetzt, wenn man ihnen das Modell der Grameen-Bank, einen Kleinkredit für eine selbständige Existenz aufzunehmen, als Alternative präsentieren würde. Für Viele von ihnen käme das auf Grund von Krankheit, Behinderung und Alter auch gar nicht in Frage; andere würden hingegen schnell ausrechnen, was sie dadurch an Hilfen und weiterer sozialer Absicherung verlieren würden. Yunus ist deshalb durchaus zuzustimmen, dass man in Europa erst einmal gegen die „Verheerungen“ des Sozialhilfesystems anarbeiten müsste, das Menschen vielfältig von staatlicher Hilfe abhängig gemacht hat[46].

Deshalb kommt es hier zunächst einmal darauf an, die Menschen an Entscheidungen zu beteiligen, sie für sich und ihre Interessen zu befähigen, ihnen Räume zu öffnen, in denen sie sich als Gestalter ihrer eigenen Welt erleben können um so Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu gewinnen. Die umfassende Einbeziehung bisher randständiger Gruppen, und nicht deren Stigmatisierung und Ghettoisierung, ist die grösste Herausforderung für Menschliche Entwicklung in Europa.

Eine der hierfür entworfenen, praktizierten und weiter zu entwickelnden Ansätze ist die „Vision der Sozialen Stadt“, die Forderungen nach Teilhabe und Schutz vor gesellschaftlicher Ausgrenzung in den Vordergrund hebt. Seit Anfang der 90er Jahre gibt es in der Republik Projekte, die sich dieser Aufgabe widmen; seit 1998 existiert hierzu sogar ein Bund-Länder-Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die  Soziale Stadt“, in dem auch Erfurt mit einem Stadtgebiet vertreten ist.

Der tatsächliche Erfolg dieser Projekte wird an ihrem Anspruch gemessen, ob nämlich „breite Bevölkerungsschichten inklusive bisher benachteiligter Gruppen wie Migranten und sozial Schwacher an der Gestaltung ihrer Stadt beteiligt sind, ärmere soziale Gruppen ausreichenden, günstigen Wohnraum vorfinden, möglichst viele Menschen eigenständig ihren Lebensunterhalt sichern können und ob sie breiten Zugang zu vielfältiger soziokultureller Infrastruktur haben“[47].

Jenseits der noch anstehenden Evaluation dieser Projekte  wird aber schon jetzt  deutlich, dass sie durchaus eine Akteurperspektive einnehmen, die von seitherigem Defizit- und Opferdenken Abstand nimmt und die Menschen in den benachteiligten Stadtteilen sehr wohl als fähig begreift, sich für ihre eigenen Interessen zu mobilisieren und für diese einzusetzen. Es sollen die Ressourcen eines Stadtteils aktiviert werden, damit sie für alle Menschen im Stadtteil zum Vorteil werden. Die Bewohner sollen gemeinsam mit der Stadt, mit Unternehmern, mit Geschäftsinhabern, mit Kirchen, mit Vereinen  und mit anderen Institutionen Lösungen für sich  und ihr Wohngebiet finden, um die Lebenslagen aller zu verbessern.

In den Maßnahmen sollen die Bürger aktiviert und beteiligt, sie sollen zu Akteuren und Gestaltern in ihrer eigenen Umwelt werden. Das kann von Wohnumfeldsanierungen flankiert sein und durch  Bürgerbeiräte und Runde Tische befördert werden. Ziel ist allerdings auch der Aufbau einer Gemeinwesen-ökonomie, einer Verfügbarmachung von Ressourcen im Stadtgebiet, die als eine neue Form der Nachbarschaftshilfe zu verstehen ist.

In den kurz skizzierten Projekten geht es letztlich darum Menschen in ihrer Gestaltungsfähigkeit und in ihrer Entwicklungsoffenheit neu zu sehen und dies als Hoffnung für eine offene Zukunft zu entwerfen. Das setzt die Achtung dieser Menschen voraus und betont deren Würde.

These 9: Autonomie und Selbstachtung

Die Würde des Menschen ist Resultat seiner Anerkennung und seiner Fähigkeiten. Daraus resultieren Selbstachtung und Autonomie, beide bilden die Basis Menschlicher Entwicklung in kollektiver Verantwortung

Selbstachtung heißt dabei, dass über Achtung und Respekt, die von den Anderen dem Subjekt entgegen gebracht werden, das Wissen wächst man selbst zu sein und etwas für sich selbst tun zu können. Autonomie ist die Erfahrung eigenen Wollens und eigenen Könnens, letztlich ist sie Resultat der Selbstachtung.

Selbstachtung und Autonomie formen sich dabei mit der Erfahrung, dass das Wollen und das Handeln des Anderen dem eigenen ebenbürtig ist. Sie leben von den Fähigkeiten, die umsetzbar sind und zur Erweiterung der Optionen für ein gutes Leben führen. Da diese Entscheidungsfähigkeit eine grundlegende Bedingung eines „guten Lebens“ darstellt, kann es in staatlich-gesellschaftlicher Ordnung nicht darum gehen, Menschen eine bestimmte Form des Lebens vorzuschreiben, sondern diese kann sich nur um das Schaffen von Voraussetzungen bemühen, damit Menschen die autonome Wahl eines Lebensplanes offen steht, aus der sie Selbstachtung gewinnen.

Mit dieser Betonung menschlicher Handlungsfähigkeit kehren wir zum dynamischen Menschenbild, das Ausgangspunkt der Überlegungen war, zurück. Die wirkliche und grundlegende Bedeutung dieses Menschenbildes vor dem Hintergrund menschlicher Handlungen hat uns Freire gelehrt:  „Nur Menschen sind Praxis – die Praxis, die, wie Reflexion und Aktion wahrhaft die Wirklichkeit verwandelnd, die Quelle von Erkenntnis und Schöpfung ist. (…) Durch ihre fortgesetzte Praxis schaffen sie gleichzeitig die Geschichte und werden sie historisch soziale Wesen.“[48]

Schlussbemerkung

Die Welt, in der wir leben, ist nur eine der Vielen. Die Gegenwart ist immer ein Raum des Möglichkeitssinns, der Visionen des ganz Anderen enthält. Eine jede Kritik der Zeit geht notwendig davon aus, dass die Tatsachen nicht endgültig sind und die erfahrbare Welt nicht die Beste aller denkbaren ist.

Daraus keimt Hoffnung: Aus der gegebenen Welt, aus deren Erfahrungen und deren Wissen, lassen sich nämlich neue Zukünfte entwerfen – wenn man den Menschen und seine Kulturen als offenes Projekt entwirft.

Literatur

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Cramer, Cathy/ Schmitz, Stefan: Die Welt will Stadt – Entwicklungszusammenarbeit für das Urbane Jahrtausend, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 15-16/2004

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Honneth, Axel.: Kampf um Anerkennung, Frankfurt am Main 1992

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Nussbaum, Martha: Gerechtigkeit oder das gute Leben, Frankfurt am Main 1999

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Thiersch, Hans: 25 Jahre alltagsorientierte Soziale Arbeit – Erinnerung und Aufgabe, in: Zeitschrift für Sozialpädagogik, 2/2003

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Yunus, Muhammand: Grameen. Eine Bank für die Armen, Bergisch Gladbach 1998

 

Prof. Dr. Ronald Lutz

University of Applied Sciences  Erfurt

Faculty of Social Studies

Dean

Altonaer Str. 25

D-99085 Erfurt

E-Mail: lutz@fh-erfurt.de

Veröffentlichungen von Ronald Lutz im Paulo Freire Verlag

Christine Rehklau u.Ronald Lutz  (Hrsg.):Sozialarbeit des Südens, Bd. 1 – Zugänge, 284 S., ISBN 978-3-86585-901-3

Christine Rehklau u.Ronald Lutz  (Hrsg.):Sozialarbeit des Südens, Bd. 2 – Schwerpunkt Afrika, 256 S., ISBN 978-3-86585-902-0

Ronald Lutz, Carsten Nöthing, Mario Rund:Integrierte Sozialraumplanung. Vorstellung eines Modells veränderter kommunaler Praxis, 107 S., ISBN 978-3-86585-651-7

Christian Götze, Ronald Lutz, Carsten Nöthing (Hrsg.):Frühe Hilfen in der Praxis. Ergebnisse einer Tagung, 129S., ISBN 978-3-86585-652-4

Ronald Lutz (Hrsg.): Rückblicke und Aussichten. Soziale Arbeit im Wandel, 206 S., ISBN 978-3-86585-401-8

Ronald Lutz (Hrsg.): Befreiende Sozialarbeit. Skizzen einer Vision, 347 S., ISBN 978-3-86585-409-4

Ronald Lutz: Riskante Kindheiten. Ein kindgerechter Armutsbegriff (Ringheftung), ISBN 978-3-86585-151-2

Ronald Lutz: Wege aus der Kinderarmut. Zur Bedeutung sozialräumlicher Vernetzung (Ringheftung), ISBN 978-3-86585-152-9

Ronald Lutz: Kinder und Kindheiten. Plädoyer für einen veränderten Blick (Ringheftung), ISBN 978-3-86585-153-6

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[1]Nussbaum 1999

[2]Thiersch 2003

[3]Siehe Fußnote 1

[4]Ulich 1987, 1

[5]Bauman 1995, 12f.

[6]Sennett 1998, 131

[7]Forrester 1997

[8]Giddens 1995

[9]Honneth 1992

[10]Siehe auch Fußnote 1

[11]Greverus 1978, 64

[12]ebda. S. 59/60

[13]Freire 1973; 1994

[14]Freire 1974a

[15]Freire 1973, 1974b, 1987

[16]Honneth 1992

[17]Sennet 2002; Honneth 2003

[18]Kant in Honneth 2003, 21

[19]Siehe Fußnote 16, S. 22

[20]ebda S. 15

[21]ebda. S. 20

[22]Siehe Fußnote 1,  S. 46

[23]ebda.

[24]ebda. S. 56

[25]ebda.

[26]Sen 1999, 10b

[27]Yunus 1998, 36

[28]DGVN 2000

[29]Link 1997; Sohn/ Mehrtens 1999

[30]Foucault 1977

[31]Siehe Fußnote 26, S. 13

[32]ebda. S. 50

[33]ebda. S. 353

[34]Coly/Breckner 2004, 3

[35]Siehe Fußnote 26, S. 52

[36]ebda. S. 95

[37]ebda. S. 30

[38]ebda.

[39]Siehe Fußnote 6

[40]ebda. S. 169

[41]Faltin/ Zimmer 1995

[42]wie Fußnote 27

[43]ebda. S. 262

[44]ebda.

[45]Wie Fußnote 41, S. 20

[46]Wie Fußnote 27, S. 230

[47]Cramer/Schmitz 2004, 16

[48]Freire 1973, 83